Forschungsgruppe: Piraten aus Protest gewählt

Berlin/Mannheim (dpa) - Die SPD hat die Wahl in Berlin nach einer ersten Analyse der Forschungsgruppe Wahlen wegen ihres hohen Ansehens in der Hauptstadt und wegen ihres Spitzenkandidaten Klaus Wowereit gewonnen.

Die Piraten verdankten ihr sensationelles Abschneiden dagegen vor allem der Unzufriedenheit der Wähler mit den etablierten Parteien, teile die Forschungsgruppe am Sonntag mit. Nur 10 Prozent hätten die Piraten wegen ihrer Inhalte gewählt.

Zwar sei die Abgeordnetenhaus-Wahl mit gewohnt starkem Lokalkolorit im Kontext städtischer Themen zu sehen, sagen die Forscher. Dennoch bestätigten sich generelle Trends: „Mit dem Niedergang der FDP, von dem die CDU nur bedingt profitiert, setzt sich eine sequentielle Linksverschiebung in den Parlamenten fort, die für die CDU, und im Falle rot-grüner Mehrheiten auch für die Linke zunehmend zum Problem wird.“

Bei einer durchwachsenen Senatsbilanz und einer schwachen Opposition profitieren die Piraten von Unzufriedenheit mit der etablierten Politik in Berlin insgesamt, treffen im urban-vernetzten Milieu einer jungen, trendigen Großstadt aber auch auf optimale strukturelle Voraussetzungen.

Für fast 70 Prozent aller Wähler war die Lokalpolitik entscheidend, für 26 Prozent der Bund wichtiger. 50 Prozent der Berliner fänden nun einen rot-grünen Senat gut.

Ihren Statuserhalt als stärkste Partei verdankt die SPD ihrer Arbeit, Sachkompetenz, Reputation sowie Klaus Wowereit: Obwohl sie laut Forschungsgruppe nirgendwo voll überzeugen, hat die SPD gegenüber einer heterogenen und schwachen Konkurrenz den relativen Gesamtvorteil.

Während die Politik der CDU - im Land beim Ansehen deutlich schlechter als im Bund - für 44 Prozent nicht zu einer Stadt wie Berlin passt, wird die FDP für 67 Prozent an der Spree nicht mehr gebraucht. Die FDP bricht in sämtlichen sozialen Gruppen dramatisch ein und verfehlt mit nur noch drei Prozent (minus neun) sogar bei den Selbstständigen klar die Fünf-Prozent-Hürde.

Die Linke tut nach Auskunft der Befragten zu wenig für die sozial Schwachen, seitdem sie im Senat ist. Ein heftiges Leistungsgefälle gibt es auch in der Opposition, wo die Grünen mit 0,4, die CDU mit minus 0,3 und die FDP mit minus 1,8 bewertet werden.

Konsequenz der differenzierten Leistungskritik ist der Wunsch nach einem partiellen Machtwechsel. Für den nächsten Senat wünschen sich die Berliner die beiden Parteien mit den besten Bilanzen: Gut fänden 50 Prozent Rot-Grün (schlecht: 33 Prozent), wogegen Rot-Schwarz (gut: 33 Prozent, schlecht: 51 Prozent), Rot-Rot (gut: 29 Prozent, schlecht: 50 Prozent) und vor allem Schwarz-Grün (gut: 23 Prozent, schlecht: 58 Prozent) abgelehnt werden.

Der SPD weisen die Forscher relative Defizite in der Sachkompetenz zu, bei den Kandidaten ist sie dagegen klar überlegen. Auf der +5/-5-Skala erzielt Klaus Wowereit den guten Wert 1,6. Renate Künast (Grüne) entfaltet mit 0,5 nicht die gewünschte Zugkraft, Frank Henkel (CDU) bleibt mit 0,3 ebenfalls schwach. Wowereit punktet mit Sympathie und Bürgernähe. Für 59 Prozent passt er am besten zu Berlin. Nur zehn Prozent sagen das über Henkel, lediglich sieben Prozent über Künast.

Die Grünen sind mit 26 Prozent bei den 30- bis 44-Jährigen am stärksten, liegen aber auch bei den unter 30-Jährigen mit 21 Prozent noch vor den Piraten, die in dieser Gruppe mit 15 Prozent am erfolgreichsten sind. Allerdings mit massiven geschlechtsspezifischen Differenzen: Mit 20 Prozent liegen die Piraten bei den unter 30-jährigen Männern vor den Grünen mit 16 Prozent, bei den unter 30-jährigen Frauen sind sie mit elf Prozent nicht einmal halb so stark.