Neue Regeln Hilfe bei der Essener Tafel jetzt wieder für alle
Essen (dpa) - Eigentlich ist nicht viel los an diesem Mittag in der Zentrale der Essener Tafel im markanten Steeler Wasserturm. Im großen Ausgaberaum stapeln sich dunkelgrüne Gemüsekisten. Vor dem Eingang hält ein Kühlwagen einer Bäckerei, um überzähliges Backwerk zu spenden.
Was jedoch der fünfköpfige Vorstand des Trägervereins weiter hinten in diesem Moment beschließt, findet abermals bundesweite Aufmerksamkeit: Auch Kunden ohne deutschen Pass bekommen bei der Essener Tafel wieder Berechtigungsausweise.
Turbulente Wochen liegen hinter den 120 ehrenamtlichen Helfern und vor allem dem Vereinsvorsitzenden Jörg Sartor - ein 61 Jahre alter Ex-Bergmann. Auslöser war die Entscheidung des Vorstands, Lebensmittelspenden vorübergehend nur noch an Bürger mit deutschem Ausweis auszugeben. Begründung: ein angeblich zu groß gewordener Anteil an Ausländern unter den Kunden von 75 Prozent. Gerade ältere Nutzerinnen und alleinerziehende Mütter hätten sich von den vielen fremdsprachigen jungen Männern in der Warteschlange abgeschreckt gefühlt, so Sartor. Auch von „mangelndem Respekt gegenüber Frauen“ und fehlender „Anstellkultur“ in der Schlange war damals die Rede.
Der Aufnahmestopp zeigte Wirkung. „Was die Karten angeht, ist das Verhältnis jetzt andersrum“, sagt Sartor nach der Sitzung. Eigentlich will er der Presse noch gar nicht viel sagen, weil er am Folgetag erst die Mitarbeiter in den elf Außenstellen informieren will. Und spricht dann doch 20 Minuten lang über die Debatte. Der Anteil der Deutschen unter den Karteninhabern sei nun auf etwa 55 Prozent gestiegen, schätzt er.
Zum ersten Mal wirksam wird der Vorstandsbeschluss erst in der kommenden Woche Mittwoch. Sartor erwartet viele neue Kunden: „Wenn wir nächste Woche wieder aufmachen, ist die Straße wieder voll.“
Falls die Kundenkarten wieder knapp werden, greifen neue Regeln: Alleinerziehende, Familien mit minderjährigen Kindern und Senioren sollen dann - unabhängig von ihrer Nationalität - bevorzugt aufgenommen werden. „Wenn ein Engpass kommt, werden wir uns auf diese Menschengruppen fokussieren“, sagt Sartor. Darauf hatte sich zuvor schon ein Runder Tisch verständigt, der auf Initiative von Essens Sozialdezernenten Peter Renzel zusammenkam.
Am 10. Januar hatte der Verein die Regelung zum ersten Mal angewandt. Doch erst Ende Februar war die breite Öffentlichkeit durch Medienberichte darauf aufmerksam geworden. Schnell entspann sich eine bundesweite Debatte über Sinn und Unsinn dieser Maßnahme, über die Notwendigkeit von Tafeln in einer eigentlich reichen Gesellschaft, über Armut in Deutschland. Auf dem Höhepunkt kritisierte sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel die Entscheidung und telefonierte mit Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (beide CDU).
Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) stattete der Tafel einen Besuch ab. Die Regelung lehnte auch er ab: Bei dem Angebot solle nicht die Herkunft, sondern die Bedürftigkeit entscheidend sein. Am Dienstag lobt Stamp den Beschluss: „Ich freue mich, dass die Essener Tafel eine gute Lösung gefunden hat und hoffe, dass die vielen ehrenamtlichen Kräfte jetzt in Ruhe ihre wertvolle Arbeit fortsetzen können.“