Porträt „Isch over“: Schäuble wechselt ins zweithöchste Amt
Berlin (dpa) - Seit dem Wahl-Sonntag hielt sich Wolfgang Schäuble auffällig zurück. Keine größere Erklärungen, sondern lautes Schweigen. Obwohl die Spekulationen über die Zukunft des Finanzministers nicht abrissen.
Immer mehr Unions- und zuletzt auch FDP-Politiker brachten Schäuble als künftigen Bundestagspräsidenten ins Spiel. Verbunden mit viel Lob - nicht immer von Freunden.
Der Druck auf Schäuble wurde von Tag zu Tag größer, der CDU-Politiker selbst aber äußerte sich weiter nicht zu seinen Ambitionen. Auch am Mittwoch zunächst nicht - als bekannt wurde, dass die Unionsfraktion Schäuble als Nachfolger Norbert Lammerts im Amt des Parlamentspräsidenten vorschlagen werde. Eine Personalie, die weit über den Berliner Politik-Betrieb hinaus von Bedeutung ist.
Wurde Schäuble letztlich an die Spitze des Parlaments weggelobt? Weil die potenziellen Koalitionspartner der Union für das mögliche schwarz-gelb-grüne Regierungsbündnis ein Auge auf das wichtige Finanzministerium werfen? Weil Schäuble mit 75 Jahren inzwischen zu alt ist für ein aufreibendes Ministeramt? Wohl kaum.Plaka
Schäuble hat wohl schon länger mit dem Amt geliebäugelt. Zumal er selbst immer gemahnt hatte, dass ein Politiker stets einen geeigneten Zeitpunkt finden sollte, um aus einem Amt zu scheiden und einen eleganten Übergang hinzubekommen. Mit dem Einzug der rechtspopulistischen AfD in den neuen Bundestag und - nach jetzigem Stand - sechs Fraktionen gibt es eine ganz neue Lage im Parlament. Da ist an der Spitze eine Autorität gefragt, die rhetorisch gegenhalten kann. Der richtige Wechsel-Zeitpunkt für Schäuble.
Eine Autorität ist Schäuble zweifelsohne. Und das nicht nur wegen seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Abgeordneter. Seit 1972 sitzt er für die CDU im Bundestag, am vergangenen Sonntag gewann er in seinem Wahlkreis in Offenburg das Direktmandat. Er ist der dienstälteste Abgeordnete und eröffnet schon deshalb den neuen Bundestag - spätestens am 24. Oktober. Ein neues Amt für Schäuble, der für die Union alles schon alles einmal gemacht - bis auf Kanzler und Bundespräsident. Nun könnte er in den nächsten vier Jahren das zweithöchste Amt des Staates bekleiden.
Schäuble, der seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes im Oktober 1990 im Rollstuhl sitzt, gilt als leidenschaftlicher Parlamentarier. Wenn man ihn fragen würde, welcher Job ihm in seinem 45-jährigen Politikerleben am meisten Spaß gemacht hat, würde er sicher die Zeit als Unionsfraktionschef im Bundestag nennen. Dennoch ist Schäuble eher ein Mann der Legislative, jemand, der viel lieber regiert und Reformen aus einem starken Ministerium heraus anstößt.
Das hat er als Kanzleramtschef so gemacht, als Architekt der deutschen Einheit, beim Hauptstadt-Umzug, als Innenminister mit der Islam-Konferenz und als Finanzminister in den vergangenen acht Jahren. Schäuble diente den Regierungen Helmut Kohl und Angela Merkel (beide CDU).
Mit Kohl, seinem früheren Förderer, kam es zum Bruch, als Schäuble in den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach seinen Aussagen im Bundestag zu einer 100 000-Mark-Barspende Anfang 2000 als CDU-Vorsitzender weichen musste. Merkel übernahm von ihm den Parteivorsitz. Als sie 2005 Kanzlerin wurde, machte sie Schäuble zum Innenminister, vier Jahre später zum Finanzminister.
Der am längsten dienende Finanzminister in den Top-Industrieländern glänzt seit 2014 mit einem ausgeglichenen Haushalt. Der Jurist genießt nach Finanz- und Euro-Staatsschuldenkrise das Vertrauen vieler Deutscher. Auf internationalem Parkett kokettiert er gern mit seinem badischem Englisch („Isch over“) und damit, dass er ja kein Ökonom sei. Aber gerade in der Griechenland- und Eurokrise zeigte sich Schäuble als harter Verhandler - der auch Differenzen mit Kanzlerin Merkel ausficht. Am Ende aber immer loyal ist.
Als harter Verhandler in den Koalitionsverhandlungen fällt Schäuble nun aus. Die FDP, die Teil der Jamaika-Koalition zusammen mit Union und Grünen werden könnte, dürfte darüber nicht unglücklich sein. Schäuble ließ die Liberalen während der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 öfter hängen. Jetzt haben die Liberalen bereits erkennen lassen, dass sie am Finanzressort interessiert sind.
Den konfliktträchtigen Umbau der Euro-Zone muss Schäuble nun anderen überlassen. So scharf auf nächtelange Euro-Gruppensitzungen dürfte er inzwischen aber auch nicht mehr sein. Häufiger als sonst verwies Schäuble zuletzt auch auf sein Alter.
Im neuen Amt muss Schäuble für geordnete Abläufe der Debatten sorgen. Die Befürchtung ist groß, dass AfD-Abgeordnete das Parlament zu Propagandazwecken missbrauchen könnten. Für den allseits respektierten Politprofi genau die richtige Herausforderung. Vor dem neuen Amt wird der Viel-Leser und Vater von vier Kindern aber noch einmal nach Washington reisen: Als Finanzminister zum Treffen mit Kollegen aus aller Welt. Dies wird nun doch eine Abschiedstour auf dem internationalen Parkett.