Das Kalkül der AfD Marschieren mit Deutschlandfahnen

Berlin (dpa) - Wenn ein Asylbewerber irgendwo in Deutschland ein schweres Verbrechen verübt haben soll, ist die AfD gleich zur Stelle. Sie organisiert Proteste und Trauermärsche.

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Das war im pfälzischen Kandel so, als ein junger Afghane seine 15-jährige Ex-Freundin in einem Drogeriemarkt erstach. Im sächsischen Chemnitz hat es nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen am vergangenen Wochenende nur wenige Stunden gedauert, bis sich die erste AfD-Kundgebung formierte.

Für diesen Samstag haben die AfD-Landesverbände Thüringen, Brandenburg und Sachsen zu einem „Schweigemarsch“ in Chemnitz aufgerufen. Die Vorsitzenden von Bundespartei und Bundestagsfraktion haben sich dazu bisher nicht angekündigt. Der Gründer des rechtsnationalen Flügels, der Thüringer Landeschef Björn Höcke, wird vor Ort sein, ebenso der Vorsitzende der sächsischen AfD-Bundestagsgruppe, Siegbert Droese. Er sagt: „Das ist eine gemeinsame Veranstaltung mit Pegida aus Dresden.“ Bundespartei- und Fraktionschef Alexander Gauland befindet: „Das halte ich für die richtige Antwort (auf die Tat). Das hat nichts mit Provokation zu tun.“

Droese glaubt genau zu wissen, wo die Linie verläuft, die seine Partei ziehen muss. Die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands (Pegida) sieht er diesseits dieser Linie, prügelnde Neonazis nicht. Die rechtspopulistische Bewegung Pro Chemnitz findet er „anachronistisch“. Droese will, dass die AfD den real existierenden Unmut besorgter Bürger aufsaugt. Im rechten Spektrum hat die AfD in Sachsen seiner Ansicht nach schon alle abgeholt, die zu ihr passen. Zuwächse erhofft er sich noch aus dem Bereich, in dem er die „bürgerliche Mitte“ verortet.

Bei den in diesem und im nächsten Jahr anstehenden sechs Landtagswahlen rechnet sich die AfD gute Chancen aus. Viele ihrer Funktionäre denken, dass es eigentlich schon ausreicht, die Fehler der Regierenden auszunutzen und sich den Gegnern von Zuwanderung und „Establishment“ als Sprachrohr und Ventil anzubieten. Ein Satz, den man parteiintern oft hört, ist: „Schaden können wir uns nur selbst.“ Etwa durch Aktivitäten und Kontakte, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nach sich ziehen könnten. Durch eine Eskalation der immer wieder verschobenen Auseinandersetzung über das sozialpolitische Profil der Partei. Oder durch interne Rivalitäten wie in Bayern. Dort hat man vergeblich versucht, Franz Bergmüller, einen der prominentesten Kandidaten für die Landtagswahl am 14. Oktober, aus der Partei auszuschließen. Ein Gericht entschied letztlich zugunsten Bergmüllers.

In Sachsen, wo es in der Gesellschaft besonders heftig gärt, wird im Herbst 2019 gewählt. Dort liegt die AfD in Wählerumfragen zur Zeit so gut wie nirgends - mit 25 Prozent auf Platz zwei hinter der CDU. Wer bei der Landtagswahl ihr Spitzenkandidat werden soll, ist noch offen. Im Gespräch ist der Malermeister Tino Chrupalla. Er hatte für die AfD bei der Bundestagswahl in Görlitz ein Direktmandat geholt. Sein unterlegener CDU-Konkurrent war Michael Kretschmer, heute Ministerpräsident von Sachsen.

Ein Blick zurück: Am Sonntag nach der tödlichen Messerattacke auf einen 35-Jährigen in Chemnitz werden zwei Araber als Tatverdächtige ermittelt. Die AfD fordert ihre Anhänger zu einer „Spontandemo“ auf. Dann erhält sie einen Hinweis, dass bei einer für den Nachmittag angekündigten Protestkundgebung in Chemnitz auch gewaltbereite Hooligans und Rechtsextremisten auftauchen könnten. Ihre eigenen Leute holt sie deshalb schnell von der Straße. Auch zur Teilnahme an einer Kundgebung am nächsten Tag ruft die Sachsen-AfD nicht auf. Das ist intern umstritten. Doch es gilt als wahrscheinlich, dass neben besorgten Bürgern einige Neonazis aufmarschieren werden. Auch gewaltsame Zusammenstöße mit Gegendemonstranten sind zu erwarten. Bilder, auf denen AfD-Funktionäre neben bekannten Rechtsextremisten und Schlägertypen zu sehen sind, will man vermeiden.

Die baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Hans Peter Stauch und Stefan Räpple reisen trotzdem an. Räpple schreibt später auf Twitter: „Falls ich später mal gefragt werden sollte, wo ich am 27. August 2018 war, als die Stimmung in #Deutschland kippte: Ja, ich war in #Chemnitz dabei!“ Nach der Kundgebung ermittelt die Polizei gegen einige Demonstranten, weil sie den verbotenen Hitlergruß gezeigt haben.

Damit so etwas bei ihrem Marsch an diesem Samstag nicht vorkommt, haben die Organisatoren der AfD vorab Verhaltensvorschriften veröffentlicht. Einer von ihnen ist Andreas Kalbitz, Fraktionschef in Brandenburg und Gründungsmitglied des rechtsnationalen Flügels. Er sagt, „dass es nicht darum geht, bestehende Spannungen zu verschärfen, aber wir wollen ein deutliches Signal senden“.

Dass es stets mehr Straftaten gibt, wenn die Zahl der Bewohner eines Landes steigt, ist eine Argumentation, für die man im AfD-Kosmos nur Kopfschütteln erntet. Co-Parteichef Jörg Meuthen sagt, Verbrechen, die von Flüchtlingen und abgelehnten Asylbewerbern verübt würden, seien „Verbrechen, die es nicht gäbe, wenn die Leute nicht illegal hierher gekommen wären“. Deshalb trage Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrer Entscheidung, die Grenzen 2015 nicht zu schließen, dafür „eine politische Verantwortung“.

Bei der FDP klingt das zwar anders. Doch um den Unterschied zu finden, muss man manchmal ganz genau hinhören. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sagt in einem Interview zur Situation in Chemnitz: „Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im „Wir schaffen das“ von Kanzlerin Angela Merkel.“ Parteichef Christian Lindner klingt bei Twitter etwas gedämpfter: „Die Migrationspolitik von Angela #Merkel hat unsere politische Kultur verändert. Zum Schlechteren. Aber das ist keine Erklärung und keine Entschuldigung für Hetze, Rassismus oder Gewalt. #Chemnitz sollte die Demokraten vereinen und nicht spalten. Die Gegner heißen #AfD und NPD.“