Fragen und Antworten Merkel, der Doppelpass-Beschluss und die Folgen

Berlin (dpa) - Der CDU-Parteitag in Essen beschließt die Aufhebung des Koalitionskompromisses mit der SPD zur doppelten Staatsbürgerschaft.

Eine knappe Mehrheit will die Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einführen. Die Parteichefin, Kanzlerin Angela Merkel, nennt den Beschluss direkt im Anschluss falsch. Die Aufregung ist groß. Was steckt dahinter? Antworten auf zentrale Fragen:

Müssen die Deutsch-Türken in der Bundesrepublik Änderungen fürchten?

Das ist sehr unwahrscheinlich. Merkel hat versichert, sie werde sich bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 an den Koalitionskompromiss halten. Sollte die CDU die Wahl gewinnen, dürfte kein möglicher Koalitionspartner einen solchen Schritt mitmachen. Nur mit der AfD wäre das wohl möglich - einer Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten hat die CDU aber eine klare Absage erteilt.

Geht Merkel geschwächt aus dem Parteitag in Essen hervor?

Ihr Wiederwahlergebnis von 89,5 Prozent - das zweitschlechteste in fast 17 Jahren als Parteichefin und das schlechteste in ihrer Kanzlerschaft - ist für Merkel nicht schön. Auch wenn Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“ sagt: „Fast 90 Prozent sind kein Dämpfer. Schon gar nicht nach diesem kontroversen, aufgewühlten letzten Jahr.“ Und: Vorsitzende anderer Parteien wären froh über so viel Zustimmung.

Ist die Niederlage bei der Doppelpass-Abstimmung noch schlimmer?

Merkel hatte die Delegierten in Essen ausdrücklich um Hilfe bei ihrer neuerlichen Kanzlerkandidatur gebeten. Das war schon außergewöhnlich für sie. Ärgerlicher als das fast schon eingepreiste Wahlergebnis dürfte für sie dann aber die Niederlage bei der Doppelpass-Abstimmung gewesen sein. Anstatt mit Rückenwind geht sie nun mit einer Schlappe und dem Eindruck einer zerrissenen Partei ins wichtige Wahljahr 2017. Das ist kontraproduktiv für Merkel. Dabei waren die Umfragen für die CDU vor dem Parteitag gerade wieder etwas besser geworden.

Warum hat Merkel so direkt und ungewöhnlich scharf reagiert?

Es ist absolut ungewöhnlich, dass eine Parteichefin noch in der Halle in Fernsehkameras sagt, sie halte einen Parteitagsbeschluss für falsch, es werde in der laufenden Legislaturperiode keine Änderung und auch keinen Wahlkampf mit dem Thema geben. In der CDU wird Merkels Ansage auch damit erklärt, dass sie rasch ein Signal an die drei Millionen Mitglieder starke türkische Gemeinde in Deutschland senden wollte. Längeres Zögern hätte zudem zu falschen Erwartungen führen können, hieß es in der CDU - auch das wäre kontraproduktiv gewesen. Zudem dürfte sie auch ein unmissverständliches Signal an die eigenen Reihen im Sinn gehabt haben: Ihr sollt wissen, woran ihr mit mir seid.

Drohen Folgen für die Koalitionsoptionen der Union?

Das lässt sich noch nicht genau absehen - wahrscheinlich nicht. In der CDU wird darauf verweisen, dass in dem Parteitagsbeschluss weder ein Umsetzungsdatum noch die Forderung enthalten ist, das Ende des Doppelpasses in den Wahlkampf 2017 zu tragen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, der selbst eine schwarz-grüne Koalition führt, beruhigte bereits: Er sehe keine Auswirkungen auf eine mögliche Koalition mit den Grünen. Auch Merkels rasche Reaktion wird in ihrer Partei als Signal gewertet, dass in von ihr geführten Koalitionsverhandlungen eine solche Forderung keine Rolle spielen wird.

Gibt es Konsequenzen für Jens Spahn, der bei dem Thema gegen Merkel und andere Mitglieder der Parteispitze mobilisiert hat?

Kurzfristig kaum. Möglicherweise wird Spahns Vorgehen bei der letzten Sitzung des CDU-Präsidiums vor der Weihnachtspause am 19. Dezember thematisiert. Spahn ist Mitglied des Präsidiums. Gerade dieser Posten soll eine Rolle dabei gespielt haben, dass Merkel so verärgert war. Minutenlang hatte sie nach dem offiziellen Ende des Parteitags auf dem Podium mit dem 36-Jährigen gesprochen. Als besonders ärgerlich wurde in der CDU verbucht, dass Spahn als Regierungsmitglied - er ist Finanzstaatssekretär - und wichtiger Teil der Parteiführung mit einer „Ego-Nummer“ nicht hilfreich für die Kanzlerin gewesen sei. Dadurch habe er das Signal der Geschlossenheit konterkariert, das mit dem einstimmigen Votum für den Leitantrag gesetzt werden sollte.

Was treibt Spahn an?

Er selbst hat sich nach den Vorgängen in Essen mit öffentlichen Äußerungen zurückgehalten. Parteifreunde beschreiben ihn als nicht illoyal gegenüber Merkel. In den vergangenen Monaten habe er in einer ganzen Reihe von Interviews versucht, sich als eigenständiger politischer Kopf zu profilieren. Mit Äußerungen zum Islam, dem Burkaverbot oder Kinderehen habe er bewusst Themen bedient, bei denen sich die Konservativen in der CDU vernachlässigt fühlten. Außerdem habe er mit seinem Auftritt in Essen nach langen Jahren der Koalitionsregierungen die Sehnsucht vieler Delegierter nach der „reinen CDU-Lehre“ bedient.