Abzug aus Incirlik Politisch unausweichlich - militärisch unsinnig
Berlin (dpa) - Der Umzug dauert etliche Wochen, kostet viel Geld und macht militärisch keinen Sinn. Trotzdem wird die Anti-IS-Truppe der Bundeswehr vom türkischen Incirlik ins jordanische Al-Asrak verlegt.
Der Grund: Zwei Nato-Partner haben sich so tief zerstritten, dass sie keinen anderen Ausweg mehr fanden. Dem Bundeskabinett blieb keine andere Wahl mehr, als den Abzug aus der Türkei einzuleiten.
Das Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete bei den Soldaten läuft dem in der Nato außergewöhnlichen deutschen Grundsatz Verständnis von einer Parlamentsarmee zuwider. Die Parlamentarier entscheiden über jeden bewaffneten Einsatz im Ausland, deswegen müssen sie sich auch ein Bild von der Lage machen können. Darauf hatte sich die Bundesregierung schon vor einiger Zeit festgelegt. Nach dem Scheitern eines allerletzten Einigungsversuchs von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am vergangenen Montag gab es deswegen kein Zurück mehr.
Jetzt geht es darum, wie das beispiellose Manöver vollzogen wird. Von der Leyen kündigte am Montag nach der Kabinettsentscheidung an, bis nächste Woche einen Abzugsplan vorlegen zu wollen. Vorher muss sie bei den Bündnispartnern Ersatz für die „Tornado“-Auflärungsflugzeuge, die seit eineinhalb Jahren Stellungen der Terrororganisation islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak ausspähen.
Für die knapp 600 Kilometer Luftlinie von Incirlik bis zum neuen Stützpunkt Al-Asrak in Jordanien braucht ein „Tornado“ zwar keine halbe Stunde. So lange dauert es, um das Herzstück des Einsatzes verfrachtet ist. Dabei handelt es sich um die Bodenstation, in der die Bilder der „Tornados“ ausgewertet werden, die dann von den Bündnispartnern für Bomardements genutzt werden.
Die Station ist in mehreren Containern untergebracht. Insgesamt muss die Bundeswehr 200 Container von Incirlik nach Al-Asrak schaffen - mit dem Flugzeug oder per Schiff und auf Lastwagen. Es ist also eine größere logistische Herausforderung. Die Einsatzpause für das in Incirlik stationierte Tankflugzeug ist allerdings mit zwei bis drei Wochen etwas kürzer.
Die Gegend um das Schloss von Al-Asrak soll im Ersten Weltkrieg der als Lawrence von Arabien zur Legende gewordene Brite Thomas Edward Lawrence als Stützpunkt für die britische Luftwaffe ausgemacht haben. Den heutigen Flugplatz gibt es seit den 70er Jahren. Zwar wird er schon seit längerer Zeit für den Kampf gegen den IS genutzt und auch dort ist die US-Luftwaffe stationiert, mit der man kooperieren kann. Trotzdem ist der neue Standort militärisch gesehen eine verschlechterung der Bundeswehr.
Die Versorgung etwa mit Treibstoff ist in Incirlik einfacher und auch die geografische ist günstiger. Um zu dem südtürkischen Stützpunkt zu gelangen, müssen die Bundeswehr-Flieger ausschließlich Nato-Gebiet überqueren. Auf dem Weg nach Jordanien müssen sie über Länder hinwegfliegen, die nicht zum Bündnisgebiet gehören. Außerdem gibt es unter anderem beim Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels Bedenken, dass der Schutz der Soldaten weniger gut gewährleistet ist. „Klar ist, so gesichert wie der strategische US-Stützpunkt in Incirlik wird die jordanische Basis nicht sein“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Bei der Nato in Brüssel stößt der Abzug auf Bedauern. Einmischen wollte sich Generalsekretär Jens Stoltenberg aber nicht. Der deutsch-türkische Streit wird in der Bündniszentrale als bilaterales Problem angesehen. Auch das Verteidigungsministerium in Washington will sich nicht äußern.
Die deutsche Bevölkerung und alle Fraktionen im Bundestag weiß die Regierung allerdings bei der Entscheidung hinter sich. Schon im März hatten sich in einer Umfrage 80 Prozent der deutschen für einen Abzug ausgesprochen. Auch im Parlament gibt es eine seltene Einigkeit zwischen Koalition und Opposition darüber. Nur die Linke würde gerne noch einen Schritt weiter gehen und den Anti-IS-Einsatz ganz beenden.
Ob der Bundestag abstimmt, ist noch offen. Eine Änderung des Bundestagsmandats ist für den Umzug rein rechtlich nicht notwendig. Der Stationierungsort ist in dem aktuellen Mandatstext nicht genannt. Es gibt aber Gespräche über einen Entschließungsantrag der die Regierungsentscheidung unterstützen könnte.
Dass der Streit über Besuche bei deutschen Soldaten in der Türkei ein für allemal beendet ist, ist übrigens nicht sicher. 20 bis 30 Soldaten beteiligen sich noch von Konya aus an den Nato-Aufklärungsflügen mit „Awacs“-Maschinen. Da es sich um einen Nato-Stützpunkt handelt, hat die Türkei für Konya eine Besuchserlaubnis für Bundestagsabgeordnete erteilt.
Für den 17. Juli ist eine Reise der Obleute des Verteidigungsausschusses geplant. Das ist dann die Probe aufs Exempel. Auch für Incirlik
Und ist eigentlich sicher, dass die Abgeordneten die Soldaten in Jordanien besuchen dürfen? Der Linke-Verteidigungsexperte Alexander Neu will auch das austesten. In den nächsten Tagen will er einen besuchsantrag für den stützpunkt Al-Asrak stellen.