Q & A: Was bedeutet die Wende für Verbraucher?
Berlin (dpa) - Die schwarz-gelbe Koalition hat ihre Beschlüsse zur Energiewende und den Atomausstieg vorgestellt. Sie werden die Stromversorgung in Deutschland umwälzen. Die Verbraucher werden sich auf viele Stromtrassen und steigende Preise einstellen müssen:
Wird Strom jetzt teurer?
Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Regierung und viele Experten erwarten steigende Preise - das Ausmaß wird aber von vielen Faktoren abhängen, etwa den Kosten für den schnelleren Bau von Netzen, Speichern und neuen Kohle- und Gas-Kraftwerken. Die Ökostromförderung, die jeder Kunden über die Stromrechnung mitbezahlt, will Schwarz-Gelb bei 3,5 Cent je Kilowattstunde zunächst deckeln und kontinuierlich senken. Aktuell fließen bis zu 13 Milliarden Euro Subventionen pro Jahr in den Ausbau der erneuerbaren Energien. Insgesamt wird der Strompreis schon heute zu über 40 Prozent mit Steuern und Abgaben belastet.
Was bedeuten die Beschlüsse für die Atomkonzerne?
Für Eon, RWE, EnBW und Vattenfall ist der 30. Mai 2011 eine Zäsur. Für sie geht das AKW-Zeitalter mit den nuklearen „Gelddruckmaschinen“ zu Ende, mit denen sie bisher etwa eine Million Euro pro Tag verdienten. Diesmal dürfte der Ausstieg unumkehrbar sein, weil er von den einstigen schwarz-gelben Kernenergiefreunden auf den Weg gebracht worden ist.
Wie reagieren die Aktienmärkte?
Die Börsenprofis fällten am Montag ein klares Urteil. Versorgeraktien lagen deutlich im Minus, vor allem weil die Atomsteuer bleibt, die die Konzerngewinne schmälert. Die Unternehmen werden sich möglicherweise vor Gericht gegen den Atomausstieg wehren: „Juristisch werden wir uns alle Schritte vorbehalten“, sagt RWE. Schon bald aber dürften die Konzerne die Flucht nach vorne antreten, um Geld mit Ökostrom zu verdienen.
Was passiert beim Thema Endlager?
Das ist mit die spannendste Frage. Erstmals scheint ein Konsens nahe, dass Alternativen zum Salzstock Gorleben geprüft werden sollen. Das könnte bedeuten, dass auch in Süddeutschland nach Standorten gesucht wird. Baden-Württemberg wäre dazu bereit, Bayern sperrt sich bisher mit dem Argument, dass es im Freistaat keine geeigneten geologischen Formationen gebe. Aber Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagt nun: „Wir müssen erst mal Deutschland ausleuchten“.
Gibt es eine bundesweite Suche?
Hier müssten alle Länder mitziehen. Wolfram König, Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, betont: „Eine ergebnisoffene Suche bedeutet, dass man sich Wirtsgesteinen, die grundsätzlich infrage kommen - Salz, Ton und mit Abstrichen Granit - nicht mit Ländergrenzen nähert, sondern nach geo-wissenschaftlichen Gesichtspunkten.“
Warum gibt es so große Zweifel an Gorleben?
Es wurde ohne transparentes Verfahren 1977 ausgesucht, Kritiker vermuten, weil der Salzstock nahe der damaligen DDR-Grenze lag. Man dachte, über dem Salzstock, wo in rund 800 Meter Tiefe der gesamte hoch radioaktive Müll aus deutschen AKW gelagert werden könnte, gebe es eine durchgehendes Deckgebirge aus Ton. Das ist aber nicht der Fall. Salz kann die Abfälle zwar schnell einschließen, aber es muss dafür sehr homogen sein. In Gorleben jedoch gibt es Öl-, Gas- sowie Lösungsvorkommen. Bis zu einem Eignungsnachweis durch ein atomares Planfeststellungsverfahren würde es laut Bundesamt für Strahlenschutz so oder so noch rund 15 Jahre dauern.
Was passiert mit den sieben ältesten Meilern und Krümmel, die seit dem Fukushima-Moratorium eingemottet sind?
Diese acht Kernkraftwerke, bei denen teils größere Sicherheitsbedenken bestehen, bleiben abgeschaltet. Allerdings könnte ein AKW als stille Reserve in einem „Stand By“-Modus bis 2013 gehalten werden. Im Gespräch sind Biblis B in Hessen oder Philippsburg I in Baden-Württemberg. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte aber, am liebsten wolle man dafür Kohle- oder Gaskraftwerke nutzen. Entscheiden müsse die Netzagentur.
Wozu soll das „Stand by“ gut sein, ist das eine Hintertür?
Nein, es ist keine Klausel, um ein Alt-AKW zu retten. Die auf die Winter 2011/12 und 2012/13 begrenzte Reserve könnte sinnvoll sein, weil es gerade an trüben, kalten Wintertagen kaum Solarstrom gibt. Auch die EU-Nachbarn brauchen ihren Strom dann selbst, so dass Engpässe nicht durch Importe ausgeglichen werden können. Die Konzerne sagen, ein AKW als „kalte Reserve“ könne innerhalb weniger Tage wieder hochgefahren sein. Der Wartestand kostet aber etwa 50 Millionen Euro pro Jahr. Zahlen müssten die Konzerne.
Was passiert mit den restlichen Kernkraftwerken?
Die übrigen, nach 1980 gebauten AKW sollen bis 2021 abgeschaltet werden. Die drei besten Meiler Lingen (Niedersachsen/RWE/Eon), Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg/EnBW) und Isar 2 (Bayern/Eon) sollen aber bei Bedarf noch bis zum 31. Dezember 2022 Strom produzieren dürfen. Sie sind eine Art Sicherheitspuffer, falls es mit der Energiewende nicht schnell genug vorangeht.
Ist 2022 wirklich für immer Schluss?
Ja, sagt Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Zwar können die Konzerne Strommengen der stillgelegten älteren Meiler auf noch laufende Anlagen wie gehabt übertragen. Neu ist aber: Es gibt feste Betriebszeiten, ein Verschieben des Abschaltdatums durch Strommengen oder Wartungsarbeiten für einzelne Meiler auf den St. Nimmerleinstag ist nicht möglich.
Sind die AKW bis zum Abschalten überhaupt sicher?
Die Reaktor-Sicherheitskommission hatte in einem Sonderbericht im Lichte von Fukushima Mängel aufgezeigt. Offen ist, wie umfangreich die bis 2021/22 laufenden Meiler noch gegen mögliche Terroranschläge, Flugzeugabstürze oder Naturkatastrophen nachgerüstet werden. Röttgen sagte, in den verbleibenden zehn Jahren Laufzeit werde es keinen Sicherheitsrabatt geben. Sicherheit gelte bis zur letzten Stunde Atomstrom.