Reaktionen: Kritik, Warnungen, Fragen
Berlin (dpa) - Kritik von Gegnern, Fragen der Opposition, Warnungen der Industrie - der Beschluss zum Atomausstieg macht keinen richtig glücklich. Auch ausländische Regierungen sorgen sich. Öko-Stromanbieter hingegen hoffen auf Planungssicherheit, Stadtwerke auf mehr Wettbewerb.
Atomkraftgegner halten den Beschluss der schwarz-gelben Koalition zum Atomausstieg bis spätestens 2022 für Etikettenschwindel. Dies sei keineswegs der schnellstmögliche Ausstieg, lautete am Montag der zentrale Vorwurf von Umweltverbänden.
Die deutsche Industrie warnte vor einem unumkehrbaren Ausstieg, höheren Strompreisen und Ausfällen bei der Stromversorgung. Die Opposition sieht offene Fragen, signalisierte aber Bereitschaft, an einem Konsens mitzuwirken.
Die Aktien der Atombetreiber verbuchten an den Börsen Verluste, Öko-Stromanbieter legten dagegen zu. Auch Stadtwerke sind zufrieden. In einigen europäischen Atomkraftländern ist die Skepsis groß, Nachbar Österreich dagegen spricht von einem Signal:
OPPOSITION: SPD und Grüne habe Zustimmung zu den Atomausstiegsplänen der Koalition angedeutet, knüpfen dies aber an Bedingungen. SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, möglicherweise könne man auch schneller aussteigen. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Die Grünen sind bereit zum Kompromiss, aber das "grüne Siegel" bekommt man nur, wenn auch der Inhalt stimmt.“ Ob sich die Grünen am Ausstiegsbeschluss beteiligen, soll die Parteibasis auf einem Sonderparteitag entscheiden. Die Linken pochen auf einen schnelleren Atomausstieg.
STROMKONZERNE: Der RWE-Konzern behält sich juristische Schritte bei einem vorgezogenen Atomausstieg vor. Als bisher einziger Konzern klagt RWE gegen das Moratorium. Zu einem „Stand-By-Meiler“ hieß es, technisch und sicherheitstechnisch sei vieles machbar. Der Konzern EnBW will die Beschlüsse zunächst prüfen. Auch Vattenfall nahm die „Entscheidung erst einmal zur Kenntnis“.
INDUSTRIE: Industrie-Präsident Hans-Peter Keitel warnte: „Die deutlich erkennbare politische Absicht, in einem beispiellos beschleunigten Verfahren einen finalen und irreversiblen Schlusspunkt für die Nutzung von Kernenergie in diesem Land zu fixieren, erfüllt mich zunehmend mit Sorge.“ Ein solches Vorhaben müsse nachjustiert werden können - auch auf der Zeitschiene. Das Erreichen der Klimaschutzziele werde schwieriger und viel teurer.
GREENPEACE: Greenpeace zeigte sich „bestürzt“. Ein Ausstieg bis 2022 sei nicht der schnellstmögliche, sondern ein unverantwortlich langsamer Ausstieg. Es sei möglich, bis 2015 versorgungssicher aus der Atomkraft auszusteigen. Es bestehe die Gefahr, dass Konzerne den Ausstieg in die Länge ziehen, den Netzausbau oder Investitionen verzögerten. Nötig seien klare Abschaltdaten für jeden Reaktor. Kein Atomkraftwerk dürfe als „Kaltreserve“ in Betrieb gelassen werden.
BUND: Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz forderte verbindliche Abschaltdaten für jeden Meiler. Alle deutschen Atomkraftwerke hätten gravierende Sicherheitsprobleme.
ÖKO-STROMBRANCHE: Der Bundesverband Erneuerbare Energie ist zufrieden. Der Öko-Strombranche werde nun Planungssicherheit zurückgegeben, die ihr mit der Verlängerung der Laufzeiten im Herbst genommen worden sei.
STADTWERKE: Stadtwerke begrüßten das Ausstiegsszenario. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien sowie Bau und Nutzung leistungsstarker Gas-Kraftwerke könne die Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Es seien Anreize nötig, damit Stadtwerke neue Kapazitäten in den Markt bringen. Die Strompreise dürften nur vorübergehend moderat steigen. Durch moderne Kraftwerke und Energiesparen könne dies aber deutlich abgemildert werden.
AUSLAND: Frankreichs Atomindustrie reagierte mit Unverständnis und leichtem Spott. „Das ist eine rein politische Entscheidung“, sagte die Chefin des Atomkonzerns Areva, Anne Lauvergeon. Bereits jetzt habe das Abschalten der ersten Reaktoren zu höheren Stromkosten geführt. Schwedens Regierung sieht den Beschluss kritisch. Als alleiniger Eigner des Konzerns Vattenfall ist der schwedische Staat direkt betroffen. Österreichische Spitzenpolitiker sprachen dagegen von einer „wegweisenden Signalwirkung“. Der Beschluss eines Hochindustrielandes zeige, dass ein Ausstieg machbar sei.
BÖRSEN: Die Aktien der Energiekonzerne Eon und RWE gerieten am Montag unter Druck. Eon gaben teils um fast 2,6 Prozent auf 19,5 Euro nach, für RWE-Titel ging es um fast 2,5 Prozent auf rund 40 Euro abwärts. Damit gehörten beide Aktien zu den Schlusslichtern im Dax. Der Leitindex gewann bis zum Nachmittag 0,30 Prozent auf 7184,91 Punkte. Anbieter erneuerbarer Energien profitierten dagegen. An der Spitze zogen Nordex bis zum Nachmittag um 14,52 Prozent auf fast 6,88 Euro an. Solarworld legten teils um fast 10 Prozent zu.