Reportage: Geld? Jobs? Zittern nach dem Atom-Aus

Biblis/Geesthacht/Stadland (dpa) - Die Atomkraftwerke Biblis, Krümmel und Unterweser gehen nicht mehr ans Netz. Endgültig. Ailine Trometer überlegt nicht lange. „Der Atomausstieg kommt zu schnell“, sagt die 22 Jahre alte Studentin, die im Info-Zentrum des Meilers im südhessischen Biblis arbeitet.

„Schon allein deshalb, weil wir keine Alternativen haben.“ Die wären? „Dass wir dasselbe Produkt zum selben Preis herstellen.“ Viele der 9000 Einwohner der südhessischen Gemeinde teilen ihre kritische Position. Die meisten wollen ihren Namen nicht nennen. Einer sagt: „Wenn der Strom teurer wird, dann möchte ich mal sehen, was sich die Grünen als Befürworter eines Ausstiegs einfallen lassen.“ Bürgermeisterin Hildegard Cornelius-Gaus (parteilos) lässt ihre Sekretärin mitteilen, dass sie sich mit Äußerungen zurückhalten will. Ein Kommunalpolitiker meinte kürzlich, er wolle nichts mehr sagen, um sich nicht den Mund zu verbrennen.

Der Meiler spült Geld in die Gemeindekasse und ist ein entscheidender Faktor für den Arbeitsmarkt. Das Kraftwerk sichert laut dem Betreiber RWE 1500 Jobs. Jährlich würden Aufträge für 70 Millionen Euro vergeben. Für die Biblis-Gegner sind das alles keine Argumente. Sie bezeichnen die Meiler wegen ihrer Anfälligkeit für Störungen als Schrottreaktoren.

Wegen zahlreicher Defekte steht der Siedewasserreaktor Krümmel im Dreiländereck von Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen jetzt seit fast vier Jahren still. Nach der nächtlichen Einigung von Union und FDP soll er wie das AKW Biblis nie wieder Strom produzieren.

Betreiber Vattenfall hat seit 2007 knapp 400 Millionen Euro für Investitionen und Instandhaltung in das Geesthachter AKW gesteckt. Ob die Entscheidung Auswirkungen auf die Gewinn- und Umsatzprognose des Energieriesen hat, konnte Unternehmenssprecherin Barbara Meyer-Bukow nicht sagen. „Da habe ich keine Informationen.“

Die Grünen in Geesthacht (Schleswig-Holstein) freuen sich über das Aus für Krümmel. Gleichzeitig betonte Ortsverbandschefin Annedore Granz die Verantwortung von Vattenfall (und Eon als Miteigentümer) für die Belegschaft: „Die Angestellten dürfen nicht die Verlierer einer verfehlten Energiepolitik der Großkonzerne werden.“

Karsten Steffen, CDU-Fraktionschef in der Ratsversammlung, rechnet schon mit Auswirkungen auf die Kaufkraft und den Handel, wenn das Atomkraftwerk als Steuerzahler und Arbeitgeber wegfällt. Aber der Beschluss bedeute ja nicht, dass von heute auf morgen alle Leute auf der Straße stehen. Die Brennstäbe müssten weiter runtergekühlt werden und dann beginne erst der Rückbau. „Ich erwarte nicht, dass von heute auf morgen die Armut über Geesthacht hereinbricht.“

Seit 1978 liefert der Druckwasserreaktor Unterweser im niedersächsischen Stadland Strom, am 18. März wurde er als Folge der Atomkatastrophe in Japan vom Netz genommen. Mittelfristig sind 400 Mitarbeiter direkt und 300 Mitarbeiter bei Fremdfirmen indirekt betroffen, rechnet Ewald Haubold vom Eon-Betriebsrat vor. „Die Würfel sind gefallen, jetzt müssen wir uns erstmal durchschütteln.“

Bürgermeister Boris Schierhold (parteilos) hofft jetzt auf Hilfen von Bund und Land, weil die Gemeinde in der strukturschwachen Region mit weniger Einnahmen rechnen muss. „Wir verlieren Einwohner, Kaufkraft, Einkommens- und Gewerbesteuern.“ Auch Landrat Michael Höbrink (SPD) erwartet Nachteile für die Betroffenen, doch bei ihm überwiegt die Freude: „Die Lichter werden hier nicht ausgehen, dies ist die Chance für einen Neuanfang mit erneuerbaren Energien.“

Doch auch wenn sich Erleichterung in Stadt und Land breitmacht: Vom Tisch ist das Thema Atom noch nicht. „Wenn man jetzt weiter denkt, dann kommt schon der Gedanke: Was passiert mit dem verstrahlten Material?“, fragt Dörthe Le-Van-Quyen, die seit mehreren Jahren in der Elterninitiative Geesthacht für das Aus von Krümmel kämpft. Und die Frage des Endlagers ist ebenfalls offen.