Report: Bengasi begräbt seine Kriegstoten
Bengasi (dpa) - Es war um die Mittagsstunde als die Männer einer nach dem anderen durch die Friedhofstore kamen. Einige waren alt, einige jung, manche trugen die traditionellen langen Galabijas, andere kamen in Jeans und losen T-Shirts.
Wieder andere kamen in ihren Marken-Baggy-Shirts, Bärten und karierten Halstüchern im typischen Rebellen-Outfit daher. Als die Pick-Up-Wagen mit den einfachen Holzsärgen in den Friedhof einrollten, standen die Männer bei den Toren und zählten ihre Toten.
Es waren insgesamt zwölf, die an diesem heißen Nachmittag auf Bengasis größten Friedhof beerdigt werden sollten. Alle waren sie an der westlichen Ausfahrt von Adschdabija umgekommen, einer Küstenstadt südlich der libyschen Rebellenhochburg Bengasi. Einige wurden von Truppen des libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi getötet, andere von der NATO, die irrtümlich auf die Rebellenarmee gefeuert hatte. Unter ihnen war auch ein älterer Mann, den ein Schuss in die Schläfe traf, als er vor seinem Haus stand.
Bengasi ist wie das weiter östlich gelegene Tobruk eine Stadt der Friedhöfe. In den Außenbezirken ruhen unter dem Wüstensand die Leichname von tausenden gefallenen ausländischen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber das moderne Bengasi hat sich noch nicht so recht daran gewöhnt, die eigenen Kriegstoten zu begraben. „Wir pflegten von Zeit zu Zeit zu Beerdigungen zu gehen, wie jedermann auf der Welt“, sagte Ahmed Al Zuwayi aus Adschdabija, „doch jetzt gibt es fast jeden Tag eine Beerdigung.“
In Bengasi dürfen nur Männer zu den Begräbnissen derjenigen, die im Kampf getötet wurden. Weibliche Verwandte kommen erst später zum Friedhof, lange nachdem die von den Männer in die Luft gefeuerten Patronen im Sand versunken sind.
Kriegstote zu begraben sei „ein Job für Männer“, sagte Mohammed Al Fahkri, einer der Trauernden. Noch nicht einmal 60 Jahre alt, hätte er nicht geglaubt, an einem warmen Aprilnachmittag seinen Sohn beerdigen zu müssen. Abas, ein 28-jähriger Kämpfer der libyschen Rebellen, wurde am Samstag in Adschdabija getötet, erschossen von Pro-Gaddafi-Einheiten. „Ich bringe nur meinen Sohn unter die Erde“, sagte Al Fahkri, die Arme auf die Schultern seiner beiden Brüder gelegt. „Es starb, als er unsere Freiheit verteidigte. Ich könnte nicht stolzer sein.“
Neben den Gräbern standen flache Schüsseln mit Wasser, die dort feierlich aufgestellt wurden, um den Durst der Kämpfer nach ihrem Tod zu stillen. Das war nicht das einzige Ritual. Nach islamischem Brauch werden im Kampf getötete Soldaten ungewaschen und in ihrer blutverschmierten Kleidung begraben.
„Die Libyer sagen, du triffst Allah in welchem Zustand auch immer du getötet wurdest“, sagte Fouad Al Mabrouk, ein Arzt aus Bengasi. „Wir sagen hier, dass Kriegern ihre Sünden gelöscht werden, wenn sie im Jenseits noch mit ihrem Blut bedeckt eintreffen.“ Er glaubt, die Körper der Rebellenkämpfer riechen nicht nach Tod. „Keiner weiß warum. Aber im Krankenhaus, wenn wir die Toten in Empfang nehmen, riechen sie sogar gut für uns. Sie schwellen nicht an in der Hitze. Es ist, als ob sie in der Zeit eingefroren bleiben“, sagte er.
Während die Sonne auf den harten Boden schien, begannen leere Pickup-Wagen Richtung Friedhofstor zurückzutuckern. Die Trauernden strömten aus dem Friedhof hinaus, aber ein Mann blieb zurück. Boubacar Afmen Al Beybani sagte, dies sei seine zehnte Beerdigung in den letzten drei Wochen. „Wir zählten die Toten - und wir zählen die Stunden, bis Gaddafi geht“, sagte er. „Er herrschte über uns 41 Jahre - das sind 497 Monate und 16 Tage“, sagte er, „ich habe es gezählt.“ Und er hatte noch viel mehr Zahlen parat. Die einzige Zahl, die Al Beybani nicht kennt ist, wie lange der libysche Führer an der Macht bleibt. „Das weiß nur Allah“, sagte er.