Diplomatie ohne Chance? Russlands zweideutige Rolle in Ost-Ghuta
Damaskus (dpa) - Die Bomben und Granaten auf Ost-Ghuta schlagen täglich ein, oft über Stunden. Auch am Donnerstagmorgen sind Explosionen zu hören, als der Aktivist Masen al-Schami über Telefon die Lage in dem eingeschlossenen Rebellengebiet nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus beschreibt.
„Dutzende Granaten fallen jede Minute“, sagt Masen. Wegen der Angriffe könne sich niemand auf die Straße wagen, nicht einmal die Helfer, um Verletzte zu versorgen.
Dann schreit Masen al-Schami plötzlich nach einer der lauten Explosionen. Im nächsten Moment ist die Leitung unterbrochen. Erst Stunden später ist der Aktivist wieder zu erreichen.
Seit Tagen erlebt Ost-Ghuta die schlimmste Angriffswelle der Truppen von Syriens Machthaber Baschar al-Assad seit Beginn des Bürgerkriegs vor fast sieben Jahren. Aktivisten sprechen von einem „Massaker“, „Völkermord“ und „Holocaust“. Bilder zeigen Leichen unter Trümmern und Straßenzüge in Schutt und Asche. Mehr als 300 Zivilisten wurden Aktivisten zufolge seit Sonntag getötet, mehr als 1700 verletzt.
In den Kliniken gehen die Medikamente und Materialien aus. Mehrere Krankenhäuser wurden nach unterschiedlichen Berichten getroffen und sind außer Betrieb. „Worte können das Ausmaß des menschlichen Leidens und die Verzweiflung nicht erfassen“, schrieb der Regionaldirektor des Internationalen Roten Kreuzes, Robert Mardini, auf Twitter.
Seit 2013 belagern syrische Regierungstruppen das Gebiet, Güter kommen - wenn überhaupt - nur über Schmugglertunnel hinein. Rund 400 000 Menschen sind in Ost-Ghuta fast vollständig von der Außenwelt abgeschlossen. Wegen der Blockade sind Nahrungsmittel knapp, Strom gibt es ohnehin nicht, Benzin für Generatoren wird immer teurer.
Hilfstransporte dürfen kaum noch nach Ost-Ghuta. Vor rund einer Woche erreichte ein Konvoi die Region, der erste nach mehr als zwei Monaten. An Bord der Lastwagen waren gerade einmal Güter für 7200 der 400 000 Menschen in dem Gebiet. Oppositionelle werfen der Regierung in Damaskus vor, die Hilfe absichtlich zu blockieren.
Syriens Regierung verweist ihrerseits auf Granaten, mit denen Rebellen Viertel in Damaskus beschießen. Beobachter aber erkennen in Ost-Ghuta eine Strategie der Assad-Anhänger, die aus Sicht des Machthabers schon vorher erfolgreich war: Sie bombardieren ein belagertes Gebiet so lange, bis die Rebellen zur Aufgabe bereit sind.
Die Opposition gibt auch Russland, Syriens Schutzmacht, eine Schuld an der Eskalation. Moskau habe im vergangenen Jahr ein Abkommen über den Abzug der 240 in Ost-Ghuta aktiven Anhänger des Terrornetzwerks Al-Kaida nicht umgesetzt, sagte der Sprecher der islamistischen Miliz Failak al-Rahman, Wail Olwan, in einem TV-Interview.
Demnach wollte Russland die Dschihadisten in dem Gebiet lassen, um einen Vorwand für Angriffe zu haben. Eine politische Lösung sieht Olwan nicht: „Eine politische Lösung heißt nach russischer Lesart Bombardierung von Zivilisten, Zerstörung der Infrastruktur, Blockade und Aushungern bis zu Kapitulation gegenüber Assad.“
Nicht nur Aktivisten aus Ost-Ghuta, sondern auch regierungstreue syrische Medien berichten, russische Jets seien an den Angriffen beteiligt. Eine Quelle im Moskauer Verteidigungsministerium bestätigte der angesehenen Zeitung „RBK“, russische Kampfflugzeuge seien über Ost-Ghuta im Einsatz. Ob diese auch Bomben würfen, ließ der Informant aber offen. Die Führung in Moskau weist eine Verwicklung in die Kämpfe von sich. „Das ist haltlos, völlig unklar, auf was die Vorwürfe basieren“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Der Experte Anton Mardassow hält es für möglich, dass Syrien den Einsatz mit Russland abgestimmt hat unter dem Vorwand des Kampfes gegen Terrorgruppen. Doch diese gebe es dort kaum, meinte er. „Ost-Ghuta ist ein großes sunnitisch geprägtes Oppositionsviertel in der Nähe der Hauptstadt. In Wirklichkeit führen die regierungstreuen Truppen einen Einsatz gegen die moderate Opposition“, sagte er.
Ost-Ghuta gehört zu einer von vier sogenannten Deeskalationszonen, die unter Vermittlung der „Garantiemächte“ Russland, Iran und Türkei in Astana verhandelt wurden. Doch der Frieden kehrte nie richtig ein. Mehrfach scheiterten Anläufe für eine Waffenruhe.
Die USA wollen mit Hilfe des UN-Sicherheitsrates ein Ende des Tötens sowie Hilfslieferungen für die Menschen erwirken. Das Gremium befasste sich am Donnerstag mit der Lage in Ost-Ghuta, ging aber ergebnislos auseinander. Eine Abstimmung über einen Resolutionsentwurf, der eine 30-tägige Feuerpause und Zugang für humanitäre Helfer fordert, wurde vertagt.
Diplomaten gingen nun von einer Abstimmung frühestens am Freitag aus. Die UN-Vetomacht Russland hat mehrfach Resolutionen zu Syrien blockiert. Kritiker werfen Moskau daher vor, den Sicherheitsrat lahmzulegen. Letztlich wird das UN-Gremium so zu einem Schauplatz der Rivalität zwischen Russland und den USA.
Statt voll auf den Sicherheitsrat und die etablierten UN-Gespräche in Genf zu setzen, flankiert Russland den Friedensprozess seit einem Jahr mit eigenen Verhandlungsformaten. In zahlreichen Runden in der kasachischen Hauptstadt Astana drücken Russland, der Iran und die Türkei den Entwicklungen in dem Kriegsland ihren Stempel auf. Außer den fragilen Deeskalationszonen kam dabei bislang nicht viel heraus.
Erst im Januar hatte Russland zudem eine Konferenz mit Vertretern der syrischen Konfliktparteien in Sotschi am Schwarzen Meer einberufen, um über eine Nachkriegsordnung beraten zu lassen. Moskau betont, damit die UN-Friedensgespräche ergänzen zu wollen. Doch Experten sind überzeugt, dass auch die unübersichtlich vielen Konferenzen dazu beitragen dürften, dass Russland die Deutungshoheit gewinnt.
Der kremlnahe Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow hat keinen Zweifel, dass es Moskau darum geht, seinen Einfluss im Nahen Osten auszuweiten und als Regionalmacht dort eine Lücke zu füllen, die die USA in den vergangenen Jahren gelassen haben. Aber: „Einfluss hat wie immer zwei Seiten: eine Erweiterung der Möglichkeiten, aber auch eine höhere Verantwortung“, schrieb er in der „Rossijskaja Gaseta“.