Seehofer verteidigt Klage gegen Finanzausgleich
München (dpa) - Bayern will den Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen. Ungeachtet massiver Kritik beschloss das schwarz-gelbe Kabinett am Dienstag, bis Ende des Jahres gegen die milliardenschwere Umverteilung zu klagen.
Der Freistaat, mit Abstand größte Zahler, hält das ganze System für ungerecht. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der in gut einem Jahr eine Landtagswahl zu bestehen hat, will die Klage notfalls auch im Alleingang durchziehen: Hessen und Baden-Württemberg, die zusammen mit Bayern mehrfach mit Klage gedroht hatten, blieben am Dienstag zunächst außen vor. Mit einer Entscheidung der Karlsruher Richter rechnet Seehofer frühestens für 2014. Bayern musste zuletzt knapp vier Milliarden Euro im Jahr an die anderen Bundesländer abgeben.
„Wir sind bereit zur Solidarität, aber der Umfang der Solidarität muss gerecht gestaltet werden“, sagte Seehofer. „Es geht um die Wahrung bayerischer Interessen, es geht um den Schutz bayerischer Steuergelder.“ Seehofer hofft aber weiterhin auf Hessen - während Baden-Württemberg weiter auf eine Verhandlungslösung setzt. SPD und Linke warfen Bayern eine Attacke auf die föderale Solidarität vor. Die Nehmerländer reagierten meist gelassen auf die Klageankündigung.
Bayern fordert eine grundlegende Reform des gesamten Systems - mit mehr Leistungsanreizen für ärmere Länder und einer finanziellen Belastungsobergrenze für die Geber. Zudem verlangt der Freistaat, dass Privilegien für die Stadtstaaten überprüft werden.
Den vier Geberländern - Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg - standen im vergangenen Jahr zwölf Nehmerländer gegenüber. Umverteilt wurden dabei insgesamt 7,308 Milliarden Euro - wovon allein der Freistaat 3,66 Milliarden Euro schultern musste. Größter Empfänger war im Jahr 2011 Berlin mit mehr als 3 Milliarden Euro.
Seehofer, Vize-Regierungschef Martin Zeil (FDP) und Finanzminister Markus Söder (CSU) verwiesen darauf, dass Bayern inzwischen Jahr für Jahr so viel Geld in den Finanzausgleich einzahle, wie es zuvor über mehrere Jahrzehnte hinweg insgesamt bekommen habe. „Wir sind solidarisch, aber blöd sind wir nicht“, sagte Söder. Zeil kritisierte, dass sich viele Nehmerländer heute Dinge leisteten, die Bayern selbst seinen Bürgern nicht biete: den Verzicht auf Studiengebühren beispielsweise oder kostenfreie Kindergärten.
Seehofer betonte, er habe keine andere Wahl, als in Karlsruhe zu klagen - die Gespräche mit den anderen Ländern über eine Reform seien gescheitert. „Wir können es gegenüber der bayerischen Bevölkerung nicht mehr vertreten, wenn wir fast vier Milliarden jedes Jahr abgeben“, sagte er. Vorwürfe, bei der Klage handele es sich um ein Wahlkampfmanöver, wies der CSU-Vorsitzende entschieden zurück.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte, er halte eine Verhandlungslösung weiter für den richtigen Weg. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sei beauftragt, einen „ambitionierten Zeit- und Arbeitsplan“ für Verhandlungen vorzulegen. Trotzdem prüfe Baden-Württemberg die Erfolgsaussichten einer Klage. Und auch aus Hessen hieß es, man bereite zwar ebenfalls eine Klage vor. Diese solle jedoch nur eingereicht werden, wenn sich Geber- und Nehmerländer nicht bis Ende des Jahres über Änderungen einigten.
SPD-Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf Seehofer eine „Attacke gegen die föderale Solidarität“ vor. Es handele sich dabei um ein durchsichtiges Manöver im bayerischen Vorwahlkampf. Zudem verwies er darauf, dass der frühere bayerische Regierungschef Edmund Stoiber (CSU) den jetzt geltenden Finanzausgleich einst mit ausgehandelt und als im bayerischen Interesse stehend gewürdigt habe - und Seehofer habe zugestimmt. SPD-Landtagsspitzenkandidat Christian Ude, der in der Sache ebenso wie Seehofer eine umfassende Reform des Finanzausgleichs will, lästerte: „Der Rechtsstreit müsste unter dem Titel "CSU gegen CSU wegen Selbstschädigung" geführt werden.“
Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin erklärte: „Horst Seehofer panikt vor der Landtagswahl.“ Nun versuche er mit billigstem Populismus Stimmung gegen den Länderfinanzausgleich zu machen. „Bayern will die Hand beißen, die es jahrelang gefüttert hat.“
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verwies auf das Grundgesetz. Dort sei in Artikel 107 festgeschrieben, „dass der Grundsatz des angemessenen Ausgleichs der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder zu berücksichtigen sei“, sagte er. „Bund und Länder haben sich 2001 auf dieses System geeinigt, das bis 2019 Gültigkeit hat.“ Berlin sei nach 2020 zu einer Neuregelung bereit. Gleichwohl stehe es den Gebern frei, das System überprüfen zu lassen.
Linke-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn warf Bayern vor, die Solidarität besonders mit dem Osten aufzukündigen. Die geplante Klage sei „ein Bruch mit einem Grundgedanken unserer Verfassung und den politischen Verabredungen der Föderalismuskommission“.
Bremen erwägt derweil sogar eine Gegenklage: Der Senat könnte sich dabei möglicherweise dem Saarland anschließen, sagte Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) am Dienstag dem Deutschlandradio Kultur.