Arbeitsexperte: „Belastung nimmt für viele zu“
Arbeitsexperte Kastner sieht Deutschland unter Druck.
Dortmund. Die Arbeitsbelastungen in Deutschland klaffen oft weit auseinander. Während sich die einen überlastet fühlen, schaffen andere geradezu spielend ein höheres Pensum. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Professor Michael Kastner, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin (Iapam) in Herdecke, warum sich diese Entwicklung noch weiter verstärken wird.
Herr Kastner, wie viele Wochenstunden kann ein Mensch arbeiten, ohne dass er gesundheitlich oder sozial abgehängt wird?
Michael Kastner: Das ist individuell ganz unterschiedlich. Es hängt zum Beispiel davon ab, wie viel Spaß die Arbeit macht, wie gesundheitsförderlich sie ist und wie Pausen genutzt werden können. Die Spannweite liegt so zwischen 30 und 70 Stunden.
Statistisch arbeiten die Menschen in Deutschland so kurz wie noch nie. Wird sich dieser Trend fortsetzen?
Kastner: Auf der einen Seite wird sich diese Entwicklung fortsetzen, weil immer mehr Arbeiten von Maschinen übernommen werden. Aber auf der anderen Seite wird die internationale Konkurrenz immer härter. Vor allem die Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China setzen die Wirtschaftsnation Deutschland unter Druck, die in der Rangliste künftig Plätze einbüßen wird. Insofern wird die Belastung für viele die Arbeitnehmer auch zunehmen.
Vor allem in Asien sind viel längere Arbeitszeiten üblich. Ist so etwas auch für Deutschland vorstellbar?
Kastner: Im Prinzip ja. Wobei es immer darauf ankommt, wie die Arbeitszeit im Detail gestaltet wird. Aber beispielsweise das kriselnde Frankreich muss derzeit erkennen, wohin es mit der 35-Stunden-Woche gekommen ist.
Ist Deutschland im Bezug auf Arbeitszeitmodelle ein Entwicklungsland?
Kastner: Ganz im Gegenteil. Deutschland ist in dieser Hinsicht sehr flexibel. Das zeigt schon seine ökonomische Spitzenstellung in Europa. Die Tarifpartner haben sich beispielsweise bei der Kurzarbeit in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich verständigt.
Viele Menschen würden gerne mehr arbeiten, während andere sich vom Beruf aufgefressen fühlen. Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Wahrnehmung?
Kastner: Häufig hat der Wunsch nach mehr Arbeit finanzielle Gründe. Zum Beispiel, um Altersarmut vorzubeugen. Auf der anderen Seite nehmen Dynamik, Geschwindigkeit und Komplexität immer stärker zu. Das macht die Menschen unruhig, sie fühlen sich ausgeliefert. In der Wissenschaft wird diese Entwicklung mittlerweile mit dem Begriff „Dynaxität“ beschrieben.