Energieversorgung Banges Blicken auf Nord Stream 1 - Was kommt nach der Wartung?

Update | Lubmin · Mitten in Zeiten von Versorgungsängsten und Krieg in der Ukraine fällt die Wartung der zuletzt wichtigsten Leitung für russisches Gas nach Deutschland. Eigentlich ein Routinejob. Doch diesmal ist alles anders.

Rohre einer Gasempfangstation.

Foto: dpa/Jens Büttner

Am ersten Tag der Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 hat Russland mit stark gedrosselten Gaslieferungen nach Italien und Österreich das Zittern um die Zukunft der Energieversorgung in Europa weiter angefacht. Seit Montagmorgen fließt durch die mehr als 1200 Kilometer lange Leitung kein Gas mehr nach Deutschland. Das war wegen der jährlich anstehenden Wartung angekündigt und erwartet worden. Nachdem am Montag der Gashahn zugedreht wurde, fragt sich aber nicht nur die Bundesregierung: Wird er wieder aufgedreht?

Italiens teilstaatlicher Energieversorger Eni meldete nur wenige Stunden nach Beginn der Arbeiten, dass es ein Drittel weniger Gas als üblich aus Russland erwartet. Und der österreichische Energiekonzern OMV teilte mit, dass er gar mit einem Minus von 70 Prozent im Vergleich zur bestellten Menge rechnen müsse. Die Arbeiten an der Leitung sind Routine. Jahr für Jahr hat die Betreibergesellschaft Nord Stream 1 über die vorübergehende Abschaltung und die Wiederinbetriebnahme nach 10 bis 14 Tagen informiert - ohne dass die Öffentlichkeit groß Notiz nahm. In diesem Jahr ist alles anders.

Seit Montag 6.00 Uhr stehen auf der zuletzt wichtigsten Route für russisches Erdgas nach Deutschland keine Transportkapazitäten mehr zur Verfügung. Im Laufe des Vormittags ging laut Daten der Betreibergesellschaft dann auch der tatsächliche Gasfluss gen Null, wie später auch die Bundesnetzagentur bestätigte. Spannend wird es in etwa zehn Tagen, wenn die Wartungsarbeiten abgeschlossen sein sollen. Bis 21. Juli, 6.00 Uhr, sind sie angesetzt.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland nach und nach mehreren europäischen Ländern, die Kiew unterstützen, das Gas abgedreht. Auch die Lieferungen nach Deutschland sind gesunken. Das mit Abstand meiste russische Gas kam laut Bundesnetzagentur zuletzt über Nord Stream 1. Und auch hier lag die Auslastung laut Daten der Behörde zuletzt nur noch bei etwa 40 Prozent des Maximums. Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni die Liefermenge drastisch gedrosselt und diese mit dem Fehlen einer Turbine von Siemens Energy begründet, die zur Reparatur nach Kanada geschickt worden war. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Begründung als vorgeschoben kritisiert.

Kanada will die Turbine nun doch ausliefern - zunächst nach Deutschland, was für Kritik seitens der Ukraine sorgt. Man sei „zutiefst enttäuscht“ über die Entscheidung der kanadischen Regierung, in diesem Fall eine Ausnahme von den gegen Russland verhängten Sanktionen zu machen, hieß es in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung von Außen- und Energieministerium in Kiew. Nach Darstellung der Bundesregierung fällt die Lieferung nicht unter die EU-Sanktionen, weil diese sich nicht gegen den Gastransit richteten.

Siemens Energy will die in Kanada gewartete Turbine nach eigenen Angaben „so schnell wie möglich zu ihrem Einsatzort“ bringen. Nähere Angaben zum Zeithorizont für die Lieferung machte das Unternehmen am Montag nicht. Aufgrund seiner Größe kann das fragliche Gerät - wenn nötig - auch per Flugzeug transportiert werden.

Mitte Juni hatte Russlands EU-Botschafter gesagt, wegen der Probleme bei den Reparaturarbeiten sei auch eine völlige Stilllegung von Nord Stream 1 möglich. Eine solche befürchtet unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er sagte kürzlich, man sehe ein Muster, dass zu diesem Szenario führen könne. Habeck sprach auch von einer „wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung“ mit Russland.

Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Yasmin Fahimi, warnte vor den wirtschaftlichen Auswirkungen eines möglichen Lieferstopps. In einem solchen Fall könnten Unternehmen „in existenzielle Not geraten und damit Millionen von Arbeitsplätzen bedroht sein“, sagte sie dem „Handelsblatt“. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian, forderte in der „Welt“ ein Konzept für Überbrückungshilfen, falls Unternehmen schließen müssten. „Bleibt Nord Stream 1 leer, droht die teilweise oder komplette Einstellung der Gaslieferung an viele Betriebe. Dann steht die Produktion in diesen Unternehmen still.“

AfD-Chef Tino Chrupalla hat die Bundesregierung für drohende Gasengpässe und mögliche harte wirtschaftliche Folgen verantwortlich gemacht. „Bundeswirtschaftsminister Habeck hat Russland den Wirtschaftskrieg erklärt. Die deutschen Unternehmen und Verbraucher sind in diesem Krieg die Opfer“, teilte Chrupalla am Montag mit.

Die Bundesregierung hat unterdessen den Einsatz von mehr Kohlekraftwerken in Gang gesetzt. Wie am Montag aus Regierungskreisen verlautete, soll am Mittwoch im Kabinett eine entsprechende Rechtsverordnung verabschiedet werden. Ziel ist es, durch den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken zur Stromerzeugung Gas einzusparen und stattdessen einzuspeichern. Zudem planen Deutschland und Tschechien ein gemeinsames Erdgas-Solidaritätsabkommen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der tschechische Industrie- und Handelsminister Jozef Sikela unterzeichneten am Montag in Prag eine entsprechende Absichtserklärung. Tschechien ist fast komplett von russischen Gasimporten abhängig.

Laut Lagebericht Gasversorgung der Bundesnetzagentur vom Montag sind die Speicher in Deutschland derzeit zu 64,6 Prozent gefüllt. Der größte deutsche Speicher im niedersächsischen Rehden sei zu 26,86 Prozent gefüllt. Modelle der Behörde gehen davon aus, dass im Falle eines Lieferstopps über Nord Stream 1 die angestrebten Füllstände vor der Heizperiode nicht mehr erreicht werden. Zudem würden die Preise wohl weiter steigen. Die von den gedrosselten Lieferungen betroffenen Unternehmen müssen diese schon jetzt zu deutlich höheren Preisen anderweitig am Markt beschaffen.

Dem Präsidenten der Bundesnetzagentur Klaus Müller zufolge gibt es unterschiedliche Signale aus Moskau zu künftigen Gas-Lieferungen durch die Pipeline. Auf der einen Seite gebe es Aussagen von Kreml-Sprechern, man könne in Kombination mit der zugesagten Lieferung der Turbine wieder wesentlich mehr Gas liefern, sagte Müller am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Auf der anderen Seite habe es auch sehr martialische Ansagen gegeben. „Ehrlich gesagt, es weiß keiner“, sagte Müller. Im schlimmsten Fall, wenn Russland die Gas-Lieferungen durch Nord Stream 1 auch nach der Wartung der Leitung stoppe, gebe es mehrere Szenarien, in denen Deutschland in eine Gas-Notlage rutsche.

(dpa)