Deutschland mit meisten Überstunden im Euro-Raum
Brüssel/Berlin (dpa) - Tarifregelungen sollen die Arbeitszeit eingrenzen. Doch gerade in Deutschland arbeiten viele länger als vereinbart. Nicht immer gibt es dafür Geld oder Freizeit.
Arbeitnehmer in Deutschland machen nach einer EU-Studie im Schnitt mehr Überstunden als ihre Kollegen in den anderen Euro-Ländern. Der zuständige EU-Sozialkommissar Laszlo Andor sagte der Zeitung „Die Welt“ (Montag): „In keinem Land der Eurozone gibt es einen so großen Unterschied zwischen der tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit und der tatsächlichen Wochenarbeitszeit wie in Deutschland.“ Vergütet wird einer aktuellen Untersuchung zufolge nicht einmal die Hälfte der Überstunden.
Laut einer Studie der in Irland ansässigen EU-Agentur Eurofound mit Daten aus dem Jahr 2013 liegt die vereinbarte Wochenarbeitszeit in Deutschland bei durchschnittlich 37,7 Stunden - tatsächlich arbeiten die Beschäftigten aber im Mittel 40,4 Stunden, also 2,7 Stunden die Woche mehr.
Damit liegen die Arbeitnehmer in Deutschland vorn, aber auch in anderen Ländern fallen erhebliche Überstunden an. In den Niederlanden arbeiten die Menschen im Schnitt jede Woche 2,3 Stunden mehr, in Zypern 2,0 Stunden und in Frankreich 1,8 Stunden.
Finnen und Italiener halten ihre Arbeitszeit von 37,5 beziehungsweise 38 Stunden genau ein. Ein leichtes Minus gegenüber der vereinbarten Wochenarbeitszeit verzeichneten hingegen die Angestellten in Irland und Malta (beide minus 0,5 Stunden). Allerdings weist Eurofound darauf hin, dass die Methoden der nationalen Statistiker sich unterscheiden können.
Jedes Land habe bei der Arbeitszeit seine Eigenheiten, so Andor. „Wichtig ist am Ende, dass das Land wettbewerbsfähig ist und dass die Vorgaben der EU-Arbeitszeitrichtlinie eingehalten werden - das ist in Deutschland im allgemeinen der Fall“, sagte er.
Grüne und Linke kritisierten die Mehrarbeit. „Eine große Zahl von Überstunden führt unvermeidlich zu Stress und zur Überforderung der Beschäftigten“, erklärte die Grünen-Sprecherin für Arbeitnehmerrechte, Beate Müller-Gemmeke. „Das ist nicht akzeptabel, denn das macht die Menschen krank. Die tarifliche Arbeitszeit muss eingehalten werden.“
Ähnlich äußerte sich Linken-Vorsitzende Katja Kipping: „Überstunden, selbst wenn sie bezahlt werden, machen krank und blockieren den Kampf gegen die Erwerbslosigkeit - sie sind nicht Ausweis unserer Leistungsfähigkeit, sondern der Beweis zu niedriger Löhne und eines falschen Leistungsdrucks. Überstunden sind ein großes gesellschaftliches Problem und nicht sexy.“
Im Schnitt wird Beschäftigten in Deutschland weniger als die Hälfte ihrer Überstunden bezahlt. Nach einer Studie, die das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vergangene Woche vorgestellt hat, erhielt jeder der gut 38 Millionen Beschäftigten im zweiten Quartal durchschnittlich fünf Überstunden mit Geld oder Freizeit vergütet. 6,9 Stunden hingegen blieben unbezahlt. Dazu kamen die zahlreichen Überstunden, die auf Arbeitszeitkonten flossen.