Ökonom Straubhaar: Ratingagenturen verschärfen Krise

Berlin/Frankfurt (dpa) - Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar hat den Einfluss der Ratingagenturen scharf kritisiert. Politik und Wirtschaft würden von den Agentururteilen getrieben, sagte der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI).

Zwar hätten die Ratingagenturen die Schuldenkrise nicht verursacht. „Aber das ändert überhaupt nichts daran, dass ihre Urteile zum heutigen Zeitpunkt die Krise beschleunigen, das Problem verschärfen.“

Die Ratingagentur Standard & Poor's wehrt sich gegen Vorwürfe, mit ihren Bonitätsurteilen die Schuldenkrise in Europa zu verschlimmern. „Ein Schweigen der Ratingagenturen, ein Ausbleiben dieser Transparenz hinsichtlich zukünftiger Zahlungsfähigkeit würde die Märkte eher verunsichern als wenn wir uns äußern“, sagte der Deutschlandchef von Standard & Poor's (S&P), Torsten Hinrichs, der Nachrichtenagentur dpa. „Wenn wir eine beschlossene Ratingänderung nicht oder nicht unmittelbar veröffentlichen würden, würden wir bewusst steuernd in den Prozess eingreifen und würden quasi manipulativ wirken.“

Die großen Agenturen Moody's, S&P, Fitch stehen aktuell wegen negativer Ratings der Pleitekandidaten Griechenland und Portugal am Pranger. „Wir sind uns der Bedeutung unserer Aussagen auch im gesamtwirtschaftlichen Kontext durchaus bewusst. Und wir gehen mit dieser Verantwortung auch sehr bewusst um“, sagte Hinrichs. „Es ist nach wie vor jedem Marktteilnehmer selbst überlassen, Ratings in den Entscheidungen zu berücksichtigen oder nicht.“

Die Ratingagentur Moody's hatte die langfristigen Staatsanleihen von Portugal trotz der Sparbemühungen des Landes um vier Stufen von „Baa1“ auf „Ba2“ abgestuft - und damit auf „Ramsch“-Niveau. „Wenn jetzt Ratings, Bewertungen, Prüfberichte nach unten gestuft werden, dann ist das der falsche Zeitpunkt“, sagte Straubhaar.

Die EU-Kommission erwägt inzwischen, Ratingagenturen die Bewertung von kriselnden Euro-Staaten zu untersagen. Er könne sich vorstellen, die Ratings für Staaten auszusetzen, die internationale Finanzhilfen erhielten, hatte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier am Donnerstag mitgeteilt. Dieser Vorschlag würde Länder wie Griechenland, Portugal oder Irland betreffen, die Milliardenkredite von den Euro-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommen. Barnier kündigte an, die EU-Kommission werde bis zum Herbst Vorschläge zu diesem zentralen Thema machen.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle kündigte an, sich dafür einzusetzen, dass Rating-Agenturen künftig für Fehlurteile zur Rechenschaft gezogen werden: „Diejenigen, die mit ihrem Urteil derart gravierende weltweite Auswirkungen zu verantworten haben, müssen für das, was sie erklären, ein Stück weit haften“, sagte Brüderle der „Stuttgarter Zeitung“ (Samstagsausgabe). Die Agenturen hätten in der Finanzmarktkrise gewaltige Fehler gemacht, ohne irgendwelche Konsequenzen. „Die Folgen zahlen die Steuerzahler. Das ist nicht in Ordnung.“ Brüderle warb dafür, das „Monopol“ der amerikanischen Unternehmen zu brechen. „Wir brauchen dringend eine europäische Rating-Agentur.“