Schulden-Krise: Lange Nacht in Brüssel
EU-Kommissar Rehn: „Diese Nacht habe ich gelernt, dass das Wort 'Marathon' aus dem Griechischen stammt.“
Brüssel. Durchgemachte Nächte in der EU-Hauptstadt Brüssel hinterlassen Spuren. Das war auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) anzusehen, als er am Dienstag um 5.14 Uhr morgens vor den Journalisten im EU-Ratsgebäude erschien. Schäuble blieb aber nicht zum Spaß schlaflos in Brüssel, sondern zum Wohle Griechenlands.
Fast 14 Stunden hatten die Euro-Finanzminister und die Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, Christine Lagarde, hart und schließlich erfolgreich darum gerungen, das lang erwartete zweite Hilfspaket für Griechenland auf den Weg zu bringen. Die Europäer und der IWF mobilisieren dafür 130 Milliarden Euro.
Kurz vor vier Uhr in der Früh kursierten die ersten entsprechenden Eilmeldungen — EU-Diplomaten hatten Nachrichtenagenturen mit den entsprechenden, weltweit mit Spannung erwarteten Informationen versorgt. Die Neuigkeit verbreitete sich schnell unter den Journalisten aus ganz Europa auf, die wartend die Nacht im EU-Ratsgebäude ausgeharrt hatten.
Zuvor hatten sich ab und an Sprecher diverser Euro-Staaten unter die Presseschar gewagt, doch Ergebnisse standen da noch aus. Erst kurz vor fünf Uhr früh klingelten dutzende Journalisten-Handys: Die offizielle Textnachricht (SMS) erreichte die Wartenden, dass die Euro-Finanzminister fertigt getagt hatten und daher zur Pressekonferenz luden.
Die Politiker verkündeten gute Nachrichten für Griechenland. Die Banken sind nach zähem Ringen bereit, dem pleitebedrohten Mittelmeerstaat noch mehr Schulden zu erlassen als von den Europäern zunächst angepeilt. Dabei half auch, dass das Gezerre mit den Vertretern des Internationalen Bankenverbands IIF um den - freiwilligen — Schuldenschnitt schon seit Monaten anhielt, begleitet von starkem politischen Druck. Vor dem Beginn des Treffens am Montagnachmittag hatten sich Schäuble und seine Kollegen betont zuversichtlich gezeigt, das Hilfspaket nach mehreren vergeblichen Anläufen auf den Weg zu bringen.
Dann verhandelten die Politiker, auch mit den Bankvertretern. Sie unterbrachen das Treffen mehrfach, um neue Berechnungen anzustellen. Schließlich hatten sich die Minister ein klares Ziel gesetzt: Das Hilfspaket soll nicht mehr als 130 Milliarden Euro umfassen. Und Griechenlands Schuldenstand soll bis 2020 von derzeit rund 160 auf 120,5 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung sinken. Dazu war ein massiver Schuldenerlass der privaten Gläubiger nötig.
Deren Vertreter pokerten bis zuletzt. Das führten die Politiker als Grund an, warum die Verhandlungen die ganze Nacht gedauert hätten. „In den letzten zwei Jahren und erneut diese Nacht habe ich gelernt, dass das Wort 'Marathon' in der Tat aus dem Griechischen stammt“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn.
Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, der stets die Treffen der Euro-Finanzminister („Eurogruppe“) leitet, ließ bei der Pressekonferenz dagegen den gewohnten Wortwitz vermissen. Ihm war anzusehen, dass er genug diskutiert und jetzt andere Bedürfnisse hatte. Um exakt 5.51 Uhr beendete Juncker die Marathon-Nacht zur erneuten Rettung Griechenlands kurz und knapp mit den Worten: „Genießen Sie Ihr Frühstück.“