Erneuerbare Energien „Viele wechseln wegen des Hambacher Walds“

Düsseldorf · Oliver Hummel, Vorstand der Naturstrom AG, über Erneuerbare Energien, den Ausstieg aus der Braunkohle und das Problem der Dunkelflaute.

„Es braucht offenbar Ereignisse mit Symbolcharakter“: Oliver Hummel, Vorstand der Naturstrom AG, zum Anbieterwechsel rund um den Hambacher Forst. 

Foto: Naturstrom AG

Diesen Donnerstag und Freitag tagt die 31-köpfige Kohlekommission im Braunkohlerevier in der Lausitz, im November dann im Rheinischen Revier. Mit der Frage des Ausstiegs aus der Braunkohle ist unmittelbar die Rolle der Erneuerbaren Energien verbunden. Oliver Hummel ist Vorstand der Naturstrom AG in Düsseldorf, dem einzigen etablierten unabhängigen Ökostromanbieter in NRW.

Herr Hummel, Ihr Unternehmen hat den BUND bei seiner Klage gegen RWE finanziell unterstützt. Profitiert Ihre Branche auch von der Anti-Braunkohle-Stimmung der vergangenen Wochen?

Oliver Hummel: Ja, und zwar spürbar. Es braucht offenbar Ereignisse mit Symbolcharakter, damit eine solche Stimmung wachsen und sich verdichten kann. Das sehen wir auch anhand unserer eigenen Entwicklung, die vor einigen Jahren stark von der Diskussion über den Atomausstieg geprägt war. 2011 nach dem Unglück von Fukushima war der Höhepunkt unseres Kundenwachstums. Die Atomkatastrophe hatte damals viele dazu veranlasst, ihren Stromanbieter zu wechseln. Seither hatte die Dynamik im Ökostrommarkt aber wieder spürbar nachgelassen.

Und jetzt nimmt sie wieder zu?

Hummel: Seit einigen Wochen liegen die Neukundenzahlen deutlich über dem Doppelten des Normalen, allein in der vergangenen Woche gab es knapp 400 Verträge mehr als sonst. Dieser Aufwärtstrend trifft so ähnlich auf alle etablierten Ökostromhändler zu. Mehrere Eckdaten sprechen dafür, dass viele Verbraucher konkret wegen des Hambacher Walds zu uns wechseln. Ein Drittel unserer Neuzugänge kommt aus einem Umkreis von 50 Kilometern um den Hambacher Forst und man sieht anhand der Vorversorger, dass viele von den großen Energiekonzernen kommen.

Der Anteil der Erneuerbaren Energien am deutschen Strommix liegt mittlerweile bei knapp 40 Prozent, gut 20 Prozent der Haushalte beziehen Ökostrom. Inzwischen haben alle Unternehmen Ökotarife im Angebot. Was macht den Unterschied?

Hummel: Zum einen die Glaubwürdigkeit. Es gibt wenige Firmen, die wie Naturstrom seit 20 Jahren nichts anderes als Erneuerbare Energien verkaufen und für die Energiewende kämpfen, daneben noch einige Stadtwerke, die sich glaubhaft modernisiert haben. Aber es gibt auch sehr viele Energieversorger, die Ökostrom nur nebenher anbieten und ihr Geld weiter mit Kohle- und Atomstrom verdienen. Zum anderen macht die Veränderung den Unterschied, die der Kunde durch den Anbieterwechsel erzielt. 90 Prozent der Ökostromangebote bewirken für die Energiewende rein gar nichts. Für uns ist daher von Anfang an wichtig gewesen, einen festen Betrag pro Kilowattstunde in den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu investieren. Denn nur zusätzliche Ökostrom-Kapazitäten verändern tatsächlich unseren Strommix. Ansonsten sind Ökotarife schlimmstenfalls ein Verschiebebahnhof, bei dem Zertifikate für Wasserkraftstrom aus Skandinavien erworben werden. Das versteht kaum ein Kunde und an der Erzeugung hier ändert sich nichts.

Anfang dieser Woche hat der Weltklimarat noch mehr Tempo zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels gefordert. An diesem Donnerstag tourt die Kohlekommission durch das Braunkohlerevier in der Lausitz. Wie leistungsfähig sind die Erneuerbaren Energien schon jetzt?

Hummel: Sie sind der entscheidende Faktor. Alle Appelle zum Stromsparen fruchten ja kaum. Zugleich hat der Anteil der Erneuerbaren Energien innerhalb der vergangenen 20 Jahre enorm zugenommen und die mit dem Ausbau verbundenen Probleme wurden gelöst. Fotovoltaikanlagen haben noch 2004 mehr als 50 Cent pro Kilowattstunde erhalten, heutige Neuanlagen produzieren für unter fünf Cent. Die Kosten sind also in knapp 15 Jahren auf ein Zehntel gefallen. Und diese Entwicklung hält weiter an. Früher hieß es, mehr als drei Prozent Erneuerbare Energien seien aus Gründen der Stromnetzstabilität gar nicht möglich. Heute sind wir bei einem Anteil von fast 40 Prozent und nichts bricht zusammen. Wir haben im Gegenteil ein seit Jahren sehr stabiles Stromnetz.

Wie schnell ist der Kohleausstieg machbar?

Hummel: Was wir jetzt brauchen, ist Planungssicherheit. Für mich ist nicht entscheidend, ob der Ausstieg am Ende fünf Jahre früher oder später kommt, auch wenn wir natürlich auf einen schnellen Ausstieg hoffen. Vor allem aber muss der Beschluss Bestand haben. Es wird dann immer noch ein langer Weg für die Energiewende. Die Wahrnehmung fokussiert sich im Augenblick nur auf den Strom und den dort schon hohen Anteil an Erneuerbaren Energien. Aber wenn wir uns die CO2-Emissionen in den Bereichen Wärme und Mobilität anschauen, wird klar, dass wir dort bisher kaum vorangekommen sind. Und das wird auch kein Klacks. Aber die Politik kommuniziert dazu überhaupt keinen Plan, vermutlich weil sie ihn noch gar nicht hat.

Bei der Verteidigung der Braunkohle hat Ministerpräsident Armin Laschet bisher immer mit der nötigen Versorgungssicherheit und Leistungsbereitschaft zu jeder Tages- und Nachtzeit argumentiert. Ist die Dunkelflaute nicht tatsächlich ein Problem der Erneuerbaren?

Hummel: Das ist natürlich ein Thema, das bei einem wachsenden Anteil Erneuerbarer mit Speichern und einem moderaten Netzausbau gelöst werden muss. Das sehe ich aber entspannt, schließlich sprechen wir immer über Zeiträume von zehn Jahren und mehr. Bei den Stromspeichern gibt es jetzt schon eine gigantische Kostendegression vergleichbar mit der Entwicklung bei der Fotovoltaik. Und das Argument der Dunkelflaute begleitet die Erneuerbaren Energien von Anfang an, ohne dass jemals die Versorgung zusammengebrochen wäre. Die Stromschwankungen nehmen auch ab, je größer der Netzverbund ist. Dessen Ausbau hinkt dem steigenden Anteil Erneuerbarer Energien allerdings noch hinterher. Daneben ist uns aber auch der dezentrale Ansatz wichtig, also die Stromerzeugung näher zu den Verbrauchern zu bringen. Das schließt sich nicht gegenseitig aus, sondern es sind zwei Seiten einer Medaille.

RWE hat die Kosten für einen Abbaustopp in Hambach auf vier bis fünf Milliarden Euro beziffert. Ist das aus Ihrer Sicht realistisch?

Hummel: Die Vermutung liegt nahe, dass das eher zu hoch gegriffen sein wird. Erfahrungsgemäß wird es in irgendeiner Form Entschädigungszahlungen geben, falls RWE wirklich großer wirtschaftlicher Schaden entstehen würde. Eine aktuelle Studie zeigt, dass RWE bei den Ausstiegsszenarien, über die derzeit diskutiert wird, maximal noch ein Drittel der Braunkohlenmenge benötigt, deren Abbau bereits genehmigt ist. Wir wollen ja keine Kohle exportieren, das passt wirklich nicht zu Deutschlands Klimaschutzzielen.

Sollte ein früherer Kohleausstieg beschlossen werden, wachsen aber die Anforderungen an die Erneuerbaren Energien. Wo sehen Sie für Ihre Branche die größten Herausforderungen?

Hummel: Die größte Herausforderung ist nicht die Technologie, sondern die Akzeptanz. Wir erleben heute schon, dass es kaum ein Windkraftprojekt gibt, das nicht beklagt wird. Das Gleiche gilt für den Netzausbau. Auch darum hinkt er ja hinterher. Natürlich sind hier viel mehr Menschen betroffen als beim Kohleabbau. Dort war es zwar für sie besonders bitter, weil ganze Dörfer weggegraben wurden. Aber jetzt fühlen sich Millionen Menschen betroffen, weil beispielsweise immer mehr Windräder in der Landschaft stehen. Und die nötige Akzeptanz bekomme ich nur, wenn die Leute in der Region auch etwas davon haben, sei es durch billigeren Strom oder Anteile, die sie erwerben können. Die Beteiligung der Menschen vor Ort ist also ein entscheidender Erfolgsschlüssel für die Energiewende.

Die NRW-Landesregierung will die Akzeptanz dadurch erhöhen, dass sie den Ausbau der Windenergie einschränkt.

Hummel: Ob das wirklich die Motivation dahinter ist, stelle ich mal in Frage. Pauschal hohe Abstände, wie sie der Landesregierung vorschweben, sind keine Lösung, sondern eine Bremse. Es steigert eben gerade nicht die Akzeptanz, den Ausbau einfach auszubremsen oder wie in Bayern ganz zu beenden. Windprojekte lassen sich auch bei niedrigeren Abständen im Konsens mit einer großen Mehrheit der lokalen Bevölkerung umsetzen, das haben wir selbst so erfahren. Es braucht eben sehr viele Gespräche und gute Angebote, auch finanzieller Art, für die Kommunen und die Anwohner. Da hat die Branche insgesamt sicherlich noch Luft nach oben.