Vorentscheidung am EU-Gerichtshof: EZB darf Staatsanleihen kaufen
Luxemburg/Frankfurt (dpa) - Europas Währungshüter sehen sich bestärkt: Zur Lösung der Krise im Euroraum darf die EZB zu außergewöhnlichen Mitteln greifen - auch der Kauf von Staatsanleihen ist erlaubt.
Das Gutachten des EU-Gerichtshofs kommt in einer entscheidenden Phase.
Kurz vor möglichen neuen Krisenmaßnahmen stärkt der gewichtige Gutachter beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) den Euro-Rettern um EZB-Präsident Mario Draghi den Rücken. Grundsätzlich dürfe die Europäische Zentralbank Anleihen von Krisenstaaten kaufen, erklärte Generalanwalt Pedro Cruz Villalón am Mittwoch in Luxemburg. Ein entsprechendes Programm der Notenbank aus dem Sommer 2012 („Outright Monetary Transactions“/OMT) sei rechtmäßig. Voraussetzung sei, dass solche Käufe gut begründet und verhältnismäßig seien.
Zudem müsse sich die EZB aus den für einen betroffenen Staat geltenden Reformprogrammen heraushalten. Das Gutachten gilt als Vorentscheidung, ein Urteil des EU-Gerichtshofs wird im Herbst erwartet (Rechtssache C-62/14). Die Bundesregierung begrüßte die positive Stellungnahme zum umstrittenen Anleihekaufprogramm. Die Aussagen des Generalanwalts untermauerten im Grundsatz die Position der Regierung, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums.
Villalón zieht insgesamt einen anderen Schluss als das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter hatten im Februar 2014 entschieden, die EZB habe mit ihrem OMT-Programm ihre Kompetenzen überschritten. Geklagt hatten der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die Bundestagsfraktion der Linken und der Verein „Mehr Demokratie“. Fast 12 000 weitere Kläger schlossen sich an. Experten werteten das Gutachten indes als Erfolg für Draghi. Die EZB habe bei der Ausgestaltung von Staatsanleihekäufen vom EuGH-Gutachten einen weitgehenden Spielraum erhalten, sagte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.
Das Gutachten kommt für die EZB zu einem wichtigen Zeitpunkt: Nächste Woche Donnerstag (22.1.) wird der EZB-Rat möglicherweise über neue Sondermaßnahmen im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche im Euroraum entscheiden. Erwartet wird ein Beschluss zum Erwerb von Anleihen im großen Stil („Quantitative Easing“, QE).
Befürworter hoffen, so die Konjunktur anzukurbeln und die zuletzt gefährlich niedrige Inflation wieder in Richtung des EZB-Zieles von knapp unter 2,0 Prozent zu befördern. Allerdings sind vor allem Staatsanleihenkäufe unter den Notenbankern sehr umstritten.
Draghi bemüht sich seit Wochen, die Kritiker zu überzeugen. „Alle Mitglieder des Rates der Europäischen Zentralbank sind entschlossen, unserem Mandat gerecht zu werden“, sagte der Italiener der „Zeit“ (Donnerstag). „Natürlich gibt es Differenzen darüber, wie das geschehen sollte. Aber es ist nicht so, dass wir unendlich viele Möglichkeiten hätten.“
Der EZB-Präsident betonte: „Wir befinden uns jetzt in einer Lage, in der wir den Zinssatz noch weiter senken müssten, aber das geht gar nicht mehr. An diesem Punkt müssen wir zu unkonventionellen Mitteln greifen, also die Größe und die Zusammensetzung der Bilanz der Europäischen Zentralbank ändern.“ Zentralbankgeld ist im Euroraum bei einem Leitzins von 0,05 Prozent schon so billig wie nie.
Beim OMT-Programm, das nie in Anspruch genommen wurde, ging es um den Kauf von Staatsanleihen von Krisenstaaten unter bestimmten Bedingungen. Allein die Ankündigung im Sommer 2012 reichte, um die Märkte zu beruhigen. Ein QE-Programm wäre breiter angelegt und könnte auch andere Anlageklassen außer Anleihen umfassen.
Obwohl der Luxemburger Gutachter sich formal nur zum OMT-Programm äußerte, gibt er die Linie vor, welche Möglichkeiten die EZB in ihrer Geldpolitik grundsätzlich hat. Die Gerichte müssten die Kontrolle der EZB-Aktivitäten „mit einem erheblichen Maß an Zurückhaltung“ vornehmen, schreibt er.
„Es gibt einige interessante Punkte in diesem Gutachten, etwa dass die EZB die alleinige Verantwortung trägt für die Konzeption, Definition und Umsetzung von Geldpolitik“, kommentierte EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch in Frankfurt. Er betonte: „Wie auch in der Vergangenheit wird der EZB-Rat das EU-Recht einhalten und respektieren. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Michael Kemmer warnte, es dürften „die Risiken eines Aufkaufprogramms für Staatsanleihen nicht übersehen werden, nämlich die Gefahr von Preisblasen an den Vermögensmärkten und das Risiko, dass die wirtschaftspolitischen Reformanstrengungen im Euro-Raum zum Erliegen kommen“. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn kritisierte: „Dies kommt einem Freibrief für die Europäische Zentralbank gleich.“ Sinn sieht einen eklatanten Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht. Falls der EuGH dem Generalanwalt folge, was wahrscheinlich sei, „so würde dies die Eurozone in eine größere Verfassungskrise stürzen“.
Der EU-Gutachter führte in Bezug auf das OMT-Programm aus, die Notenbank könne über den Erwerb von Anleihen kriselnder Eurostaaten durchaus ein Ziel ihrer Geldpolitik erreichen. Sie könne so Zinsaufschläge für die Anleihen senken, was den Staaten „eine gewisse finanzielle Normalität“ wiedergeben könne.
Gauweiler erklärte am Mittwoch, die Argumentation des Luxemburger Gutachters vermöge die Argumente des Bundesverfassungsgerichts nicht zu entkräften: „Mit Blick auf die bevorstehende Entscheidung des EuGH bleibt zu wünschen, dass sich der Gerichtshof als unabhängiges Gericht erweist, das das europäische Vertragsrecht auch gegen Kompetenzanmaßungen der EZB durchsetzt.“