Detroit dreht auf: Protz und Pferdestärken
Detroit (dpa/tmn) - Elektroautos, Hybridfahrzeuge, Kleinwagen? Die eher vernünftigen Vehikel spielen auf der Motorshow in Detroit diesmal keine große Rolle. Die Autohersteller befeuern vor allem die Lust auf Großes und Schnelles - mit ein paar Ausnahmen.
Acht Zylinder, 6,2 Liter Hubraum und 331 kW/450 PS - vernünftig ist ein Auto wie die neue Chevrolet Corvette nicht gerade. Doch sie sorgt bei den Messegästen für faszinierte Blicke. Noch Stunden nach der Enthüllung des Sportwagens auf der North American International Auto Show in Detroit (NAIAS, Publikumstage: 19. bis 27. Januar) ist das feuerrote Coupé, das im Herbst nach Deutschland kommt, von einer Menschentraube umlagert. Das ist bezeichnend, denn wirtschaftliche Autos spielen auf der ersten großen Automesse des Jahres diesmal nur eine Nebenrolle. Egal ob Heimspieler oder Importeur: Wer dort punkten will, versucht es mit Luxus und Leistung.
Auch Aussteller aus Deutschland ticken in Motowns Cobo Center dieses Mal so: Audi rückt eine 412 kW/560 PS starke RS-Version des A7 sowie den sportlichen Geländewagen SQ5 mit 260 kW/354 PS ins Rampenlicht. BMW zeigt zum ersten Mal vor großem Publikum das 6er Gran Coupé in der M-Version mit 412 kW/560 PS. Ebenfalls dabei: der neue 4er, der eigentlich ein Coupé-Ableger des neuen 3ers ist und im Sommer auf den Markt kommt. Und bei Porsche dreht sich alles um den Cayman sowie den 404 kW/550 PS starken Cayenne Turbo S.
Mercedes übt sich mit der E-Klasse, die nach einer umfangreichen Überarbeitung in die zweite Halbzeit startet, im Protzen: Neben Limousine, Kombi, Coupé und Cabrio steht in Detroit eine AMG-Version mit 430 kW/585 PS als die „stärkste E-Klasse aller Zeiten“ im Rampenlicht. Bei den Großserienmodellen erwähnt Daimler-Chef Dieter Zetsche aber schon die genügsameren neuen Motoren. Außerdem nehme die E-Klasse zahlreiche Sicherheits- und Assistenzsysteme aus der kommenden S-Klasse vorweg.
Dass die Schwaben eine Nummer kleiner können, haben sie im Rahmenprogramm der Messe demonstriert. Bei einem Empfang enthüllten sie den neuen CLA - ein Auto mit coupéhaften Linien, das nach Angaben eines Sprechers im April als günstigste Mercedes-Limousine mit einem Grundpreis von 28 977 Euro in den Handel kommen soll. Doch so ganz ohne Luxus und Leistung geht es auch dabei nicht. Denn der CLA kostet 5000 Euro mehr als eine A-Klasse, und es wird ihn auch mit dem AMG-Kürzel geben. So getunt wird der CLA 257 kW/350 PS leisten und wohl noch einmal doppelt so teuer werden.
Zumindest was die Fahrzeugabmessungen betrifft, trumpft auch Volkswagen in Detroit groß auf: Die dort gezeigte Studie CrossBlue übertrifft sogar den Touareg mit 4,99 Metern Länge um ganze 20 Zentimeter. Ansonsten aber ist das Auto eher eine vergleichsweise brave Familienkutsche - zumindest in den Augen der Amerikaner. Denn für US-Verhältnisse ist der Geländewagen immer noch recht klein und verspricht zudem praktisch zu sein: Im Innenraum ist Platz für drei Sitzreihen und bis zu sieben Passagiere oder knapp 2000 Liter Gepäck, erläutert Entwicklungschef Ulrich Hackenberg. Als großer „People Mover“ könnte die Studie binnen zwei, drei Jahren in Serie gehen.
Was den CrossBlue besonders spannend macht, ist sein Antrieb. VW zeigt den Allradler als Plug-in-Hybriden. Ein 2,0 Liter großer Diesel und zwei E-Motoren kommen zusammen zwar auf 225 kW/306 PS. Doch der Verbrauch liegt im Normzyklus bei nur 2,1 Litern (CO2-Ausstoß: 55 g/km). Aber wohlgemerkt: Beim CrossBlue handelt es sich um eine Studie und kein fertiges Serienfahrzeug.
Neben den deutschen Herstellern sorgen in Detroit die Asiaten für Aufsehen, die ebenfalls auf die Besserverdiener zielen. Für die gehobene Mittelschicht gibt es die neuen Luxuslimousinen Infiniti Q50 und Lexus IS, die beide im Herbst nach Europa kommen. Hyundai zeigt die Oberklasse-Studie HCD-14 als Ausblick auf den nächsten Genesis, und die noble Honda-Tochter Acura lockt mit der nächsten Evolutionsstufe der Sportwagenstudie NS-X. Honda selbst ist mit einem seriennahen Entwurf für einen kompakten Geländewagen im Format des Civic angereist. Er soll binnen ein bis zwei Jahren mit Diesel-, Benzin- und Hybridantrieb in den Handel kommen.
Weitere Importeure mit echten Neuheiten auf der US-Messe sind Bentley mit dem Continental GT Speed und Maserati mit dem neuen Quattroporte. Doch nach dem Ende der Krise der US-Autobauer lassen sich die Amerikaner nicht die Show stehlen: Sie locken das Publikum mit Premieren, die ganz der amerikanischen Volksseele entsprechen.
Zwar handelt es sich dabei - abgesehen von der Corvette - meist nur um überarbeitete Modelle wie den Jeep Compass und den Jeep Grand Cherokee oder eine Modellpflege für den Pritschenwagen Chevrolet Silverado. Doch in einem Land, in dem noch immer Pick-ups wie Limousinen verkauft werden und Geländewagen so präsent sind wie in Deutschland Kombis, reichen solche Maßnahmen für fette Schlagzeilen. Selbst wenn Ford nun zum ersten Mal nur über den nächsten F-150 spricht, werden die Amerikaner so hellhörig wie die Deutschen beim neuen VW Golf.
Still dagegen ist es in Detroit um das Elektroauto geworden. Zwar enthüllt General Motors mit dem Cadillac ELR eine weitere Spielart von Chevrolet Volt und Opel Ampera. Und auch Nissan ist mit einer überarbeiteten Version des E-Autos Leaf präsent. Doch sonderlich beachtet werden diese Fahrzeuge nicht. Der Elektro-Umrüster Via versucht es deshalb einmal anders: Einem stattlichen Pick-up pflanzte das US-Unternehmen zwei Elektromotoren mit zusammen 588 kW/800 PS ein. Das mache ihn zum saubersten und zugleich stärksten Pritschenwagen auf dem US-Markt.