Amos Oz: Dichter sind Diebe und Maler
Ab Montag ist Amos Oz’ neuer Roman „Verse auf Leben und Tod“ im Handel – köstlich, komisch und melancholisch.
Düsseldorf. Wie James Joyce’ "Ulysses" einen einzigen Tag in Dublin durchspielt, so werden die "Verse auf Leben und Tod" in einer einzigen Nacht in Tel Aviv rezitiert - allerdings prosaischer, als der Titel vermuten lässt.
Indes stellt Amos Oz buchstäblich im letzten Satz, mit einem für ihn typischen dreifachen Rittberger den Kern des Erzählten wieder auf den Kopf und in Frage. Und das aufs Schönste.Wer jemals Martin Bubers Übersetzungen der Chassidischen Geschichten gelesen hat, ist hier zu Hause.
Sommer, ein Abend, eine Nacht im heißen, stickigen Tel Aviv. Die Geschichte handelt von einem Schriftsteller, der zur Lesung im Kulturzentrum "Schunja Schor und die sieben Toten vom Steinbruch" angereist ist. Er liest, boshafter kann man nicht sein, für den Kulturkreis "Das gute Buch".
Der Roman, eigentlich eine sehr lange Versdichtung, handelt natürlich nur von Juden und ist, da Amos Oz ihn schreibt, ihnen gegenüber boshaft, lästerlich, witzig und wehmütig, satanisch satirisch, aber erbarmungsvoll mit den Schwächen der Menschen. Und sehr nachdenklich.
Das Präludium sind die zu erwartenden üblichen Fragen des Publikums, die den Ich-Erzähler jetzt schon peinigen. Noch hockt er in einem stickigen Café, da merkt man, warum und wie dieser schriftstellernde Ich-Erzähler seiner Passion nachgeht: als Dieb und Maler. Zunächst stiehlt er Menschen und ihre Charaktere - eine Kellnerin, zwei Männer, später fällt ihm fast das ganze Publikum zum Opfer - und begeht so einen Schöpfungsakt, denn was anderes ist Dichtung?
Er staffiert und malt ihre Gedanken, Persönlichkeiten, Schicksale, ihre Gespräche und ihr Zusammenleben aus. Dabei verwirklicht er nur, was allein laut Michael Lentz des Schriftstellers Werk ist: Er benutzt die wahrgenommene Wirklichkeit, verdichtet sie so stark, bis sie verwandelt ist in eine fiktive von Liebe, Lust, Leiden und Tod. So entsteht große Literatur.
Diese Nacht wird den Schreiber nach der unmaßgeblichen Lesung besonders mit der Textvorleserin Rochele Resnik verbinden, einer mageren, scheuen Frau mit nahezu keinen Brüsten, bebenden Lippen, die immerfort vor Scham und Schrecken errötet, ihr Nachthemd bis oben verschließt und deren Lebensgefährte ein eifersüchtiger Kater ist, der die Uhr liest.
Leider sieht sie aus wie ein Wesen "aus der Familie der Nagetiere", das an "ein in die Enge getriebenes Eichhörnchen" erinnert. Sie sperrt den Kater ins Bad, als der Schriftsteller es endlich in die Wohnung geschafft hat.
Zwar wohnt dem verunglückten Beischlaf immense Komik inne, doch hier geht es um mehr. Der Titel des Buches stammt angeblich nicht von ihm, sondern zitiert das Buch eines Dichters namens Zefanja Beit-Halachmi, der Verse schrieb wie "Ohne Bräutigam keine Braut und kein Wort ohne Laut".
Auch andere werden noch zitiert, die sich, wie der Erzähler selber, stark mit dem Tod beschäftigen. Kann es sein, "dass der Tod wirklich ganz anders ist als das Leben". Andererseits weiß der Erzähler aus der jüdischen Geschichte, dass mit dem Leben auch der Tod in die Welt kam. Er ahnt, dass es heute heißen müsste: Mit dem Leben kamen Sex und Tod. Dennoch: Sind die Toten nicht ein zweites und letztes Mal gestorben, wenn niemand mehr da ist, der sich ihrer erinnert, zitiert er die Gedanken von Beit-Halachmi.
Der Morgen naht, der Schriftsteller tritt Asphalt, hadert mit sich, dem Sinn seiner Existenz. Und bekennt: "Bei all diesen Personen" (die er erfunden hat) "handelt es sich immer nur um verschiedene Verkörperungen des Schriftstellers, alle sind nur er, und alles, was ihnen zustößt, stößt dem Schriftsteller zu." Ein überzeitliches Credo jeglicher Dichtkunst.
Aber Amos Oz entlässt uns nicht ohne ein gerüttelt Maß an Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung. Im Anhang stoßen wir auf ein Personenverzeichnis, das, wie in einem Theaterstück, die auf- und abtretenden Personen erklärt. Zum Beispiel so: "Untersetzter Wachmann: Steht da und pinkelt." Das umschreibt doch eine Aufgabe.