Autobiografisches: Virginia Woolfs frühe viktorianische Farben
Der Großessay „Die Feder wittert die Fährte“ erzählt aus der Jugend der berühmten britischen Autorin am Meer.
Düsseldorf. "Eine Skizze der Vergangenheit" nennt sich dieses Buch und "Porträt einer Künstlerin als junges Mädchen" - eine Anleihe bei James Joyce, mit dem Virgina Woolf nicht nur die Lebensdaten (1882-1941) verbanden. Joyces erster Roman hieß "Porträt des Künstlers als junger Mann". Joyce, Woolf und Marcel Proust prägten die europäische Literatur tiefgreifend.
Ein Hauptteil der Erinnerungen Woolfs ist dem frühen Tod der geliebten Mutter gewidmet, die das Zentrum der wohlhabenden achtköpfigen Intellektuellen-Familie war und diese somit verwaist hinterließ. Kurz darauf, 1906, starb auch Thoby, ihr Lieblingsbruder, noch früher war ihre Halbschwester Stella dem Tod zum Opfer gefallen.
Sie schildert, wie unleidlich der Vater mit dem Tod ihrer Mutter wurde, unberechenbar und jähzornig, alles dominierend. In diesem Essay, der in anderer Zusammenstellung erstmals 1976 erschien, erzählt sie, dass sie den Verlust der Mutter erst mit dem Roman "Zum Leuchtturm" (1927) verwunden hatte. Wie sie denn die Erinnerungen aus der Perspektive von "Talland House" in Cornwall am Meer schrieb, wo die Familie 1982-1894 den Sommer verbrachte. Den Wellen, die sie morgens als erstes beim Aufwachen hört, werden in "The Waves" wiederkommen. Und der Titel besingt den Vorgang des Abenteuers des Schreibens.
Im Salon ihres Vaters Leslie Stephen traf sich die Elite jener Zeit: die Dichter Alfred Tennyson, Thomas Hardy, Henry James. Für ihre Schwester Vanessa und sie, die sich als revolutionär begriffen, war das befremdlich: Im einen Geschoss des Hauses herrschte das viktorianische, im anderen das 20. Jahrhundert, die Moderne, die Revolution, die anzuzetteln Virginia und Vanessa bestrebt waren.
Die Erinnerungen sind zärtlich und zornig, traurig und wehmütig - und sie beschenken uns mit kostbaren Apercus und Reflexionen versehen: "Jeder Tag enthält viel mehr Momente des Nicht-Seins als des Seins."
Virginia Woolf: "Die Feder wittert die Fährte. Eine Skizze der Vergangenheit." Mit Anm., 155 S., geb., Manesse, 14,90 Euro.