Endlich wieder guter Pop
Coldplays viertes Album „Viva la Vida“ ist weitgehend gelungen – dank Produzent Brian Eno.
Berlin/London. Vielleicht ist es unangebracht, von einem Comeback zu sprechen. Vor allem, weil dieser Begriff eher für Künstler reserviert ist, die sich aus einer ausgedehnten Pause zurückmelden und/oder sich münchhausengleich am eigenen Schopf aus dem bröckeligen Morast eines Karrieretiefs katapultieren.
Auf Coldplay trifft eigentlich weder das eine noch das andere zu. Ihr letztes Album "X & Y" liegt lediglich drei Jahre zurück, noch dazu handelt es sich dabei um einen der zehn weltweit bestverkauften Tonträger des bisherigen Jahrzehnts.
Trotzdem ist das, was die Band um den streitbaren Frontmann Chris Martin mit ihrem neuen Album auf die Beine stellt, ein Comeback. Oder besser noch: eine Wiederkehr, und zwar auf das Niveau ihres Erstlings "Parachutes", einem klaren, melancholischen, aber auch etwas leierigen Pop-Traktat, das aus dem Stand eines der erfolgreichsten Debütalben aller Zeiten wurde.
All jene, die Coldplay damals, im Jahr 2000, als wohltuend introvertierte Alternative zum lärmenden Rampensau-Frohsinn eines Robbie Williams oder zur markigen Kampftrinker-Pose der Gallagher-Brüder verstanden, könnten jetzt mit "Viva La Vida or Death and all his Friends" durchaus zufrieden sein - allerdings nur, sofern sie bereit sind, Coldplay die schmerzhafte Beliebigkeit ihres letzten Longplayers zu verzeihen.
Jeder Song war da durchsetzt von wohlfeiler Einfallslosigkeit, lieblos eingespielt und in den Stadien dann mit messianischer Großmannssucht als Meilenstein-Pop vorgetragen. Innerhalb von anderthalb Jahren vollzogen Coldplay den tiefen Fall von gefeierten Heilsbringern zu konsensfähigen Pappkameraden.
Da heißt es, das verspielte Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Und nichts wäre Chris Martin, diesem wimmernden Klagegeist mit dem trotzigen Sendungsbewusstsein eines Schülersprechers, wichtiger, als es allen recht zu macht. Das wiederum macht den Ehemann von Hollywood-Star Gwyneth Paltrow als Person zwar uninteressant, seiner Musik, und das ist das Paradoxon, tut diese Gefallsucht aber mehr als gut.
Der Kunstgriff, dessen sich Coldplay bedienten, war denkbar einfach. Sie ließen das, was sie sich in den vergangenen zwei Jahren in einer verwaisten Bäckerei im Norden Londons zusammengeklampft hatten, professionell aufmotzen.
Markus Dravs zeichnet für den eigenwillig blechernen Sound der zehn neuen Songs verantwortlich. Dafür recycelte er seinen Spürsinn für das erhaben Unvollkommene, wie er ihn auf "Neon Bible", dem hochgelobten Album der kanadischen Avantgarde-Rocker Arcade Fire, erkennen ließ.
Über allem thront allerdings der Produzenten-Guru schlechthin: Brian Eno. David Bowie und Roxy Music verdanken ihm ihre größten Erfolge, die Talking Heads und U2 waren eigentlich nur unter seiner Ägide richtig gut. Auch bei Coldplay vollbringt er das kleine Wunder, aus nöligem Parolen-Popanz hörbaren Popanz-Pop zu machen.
Das fängt schon mal damit an, dass er Martin auf mehreren Tracks zwei Oktaven tiefer singen lässt, was Songs wie "Yes" oder der gelungenen ersten Single "Violet Hill" unaufgeregte Sonorität verleiht, mithin eine Facette, die man bei Coldplay nicht erwartet hätte.
Wie sehr der Pop-Mogul dem Album seinen Stempel aufdrückt, merkt man beim Titeltrack "Viva la Vida", einem melodisch eher simpel dahintröpfelnden Erweckungsmurks, dessen religiös verbrämten Text Eno mit hosiannischem Glockengeläut und hallender Erhabenheit ironisch bricht. So bleibt von Martins Erlöser-Gehabe nur eine Karikatur. Dass er nur noch so gefällt, ist ihm mittlerweile wohl egal.