Oper: Brodelndes aus der Stalin-Zeit
Die Rheinoper spielt „Lady Macbeth von Mzensk“ von Schostakowitsch. Jubel, Applaus.
Duisburg. Schon der Titel verrät, dass es hier blutrünstig zugeht. In "Lady Macbeth von Mzensk", der zweiten Oper von Dimitri Schostakowitsch, wird gemordet, vergewaltigt, aber auch Erotik pur dargeboten. Nach über siebzig Jahren seit der Uraufführung in St. Petersburg 1934 gehört das Werk noch heute zu den mitreißendsten Beispielen des modernen Musiktheaters. Die Neuinszenierung der Deutschen Oper am Rhein, die jetzt in Duisburg Premiere hatte, macht das auf packende Weise deutlich.
Schon die Form ist außergewöhnlich. Als Vorlage diente eine Novelle von Nikolai Leskow, deren narrative Struktur weitgehend beibehalten wird. Die Kaufmannsfrau Katarina peinigt Langeweile. Sie sehnt sich nach einem erfüllten Leben, vor allem aber nach sexueller Befriedigung, die ihr der impotente Sinowij (Andrej Dunaev), mit dem sie seit vier Jahren verheiratet ist, nicht geben kann.
Statt mit einer Ouvertüre beginnt die Oper mit dem elegisch lastenden Monolog einer vereinsamten Frau, die dann im ersten Akt mit einer gewalttätigen Männerwelt konfrontiert wird.
Wie aus einzelnen Versatzstücken konstruiert Schostakowitsch eine symphonische Erzählung, die von langen orchestralen Zwischenspielen strukturiert wird. Die Handlung wird eher punktuell eingeblendet, als dass sie dramatisch stringent entwickelt würde.
So entsteht die brodelnde Seelenmusik einer Gesellschaft im Umbruch, die nach neuen Werten und Strukturen sucht. Die Komposition spiegelt die Aggressivität und Orientierungslosigkeit der Stalin-Ära wider, wie sie der Diktator damals nicht wahrhaben wollte: Er verbot das Werk.
Als der als Frauenheld verschriene Arbeiter Sergej (John Uhlenhopp)in das Leben Katarinas tritt, ist sie nicht mehr zu bremsen. Sie ermordet ihren Mann und ihren Schwiegervater (Oleg Bryjak), heiratet Sergej, zerbricht aber bald an der inneren Spannung und endet kläglich in einem sibirischen Arbeitslager.
John Fiore und die Duisburger Symphoniker sind die eigentlichen Protagonisten der Aufführung. Zusammen mit einem erstklassigen Sängerensemble lassen sie das bewegende Panorama einer aufgewühlten Epoche wie in einen Breitwandfilm vorüberziehen. Ein musikalischer Hochgenuss.
Die Regie lag ganz in russischer Hand. Dmitri Tcherniakov (Inszenierung und Bühne), Elena Zaytseva (Kostüme). Alexej Parin (Dramaturgie) und Gleb Filshtinsky (Lichtdesign) lassen sich leider nur phasenweise von der Musik inspirieren, vielleicht aus Angst vor der eruptiven Kraft der Partitur und ihrer erotischen Gewalt.
Sie verlagern das Geschehen in die Stellwände einer kleinbürgerliche Arbeiterwelt der Jetztzeit. Die Hauptfigur deuten sie um zu einer Maria Magdalena des schweigsamen Duldens und Dienens, die nichts zu fühlen scheint, wenn man sie vergewaltigt.
Die stimmlich hochpräsente Morenike Fadayomi erstarrt zu einer ägyptischen Mumie, die mit an den Körper gepressten Armen alles willig hinnimmt, was mit ihr geschieht. Sie darf höchstens mal vor ihrem Geliebten knien oder ihm die Wunden salben. Rituell geht es zu in dieser steif auf der Bühne herumstehenden Gesellschaft. Personenregie findet nicht statt. Alles wird ins Symbolische erhoben.
Am überzeugendsten wirkt noch die Schlussszene in einer kleinen Gefängniszelle, wo keine Bewegung stattfinden muss, die Chorstimmen aus dem Off kommen und das Ausblenden einer langen, tragischen Geschichte auf einmal sinnfällig wird. Tosender, einhelliger Applaus.