Hütter gegen Pelham Das ist alles nur geklaut — ab jetzt legal
Karlsruhe hat entschieden: Musikproduzent Moses Pelham darf eine 20 Jahre alte Sequenz aus einem Kraftwerk-Lied verwenden.
Düsseldorf/Karlsruhe. Der Refrain des Liedes „Alles nur geklaut“ der Leipziger A-capella-Formation Die Prinzen dauert zwei, drei Sekunden lang. Zumindest die erste Zeile des Textes ist in dieser Zeit problemlos erledigt: „Denn das ist alles nur geklaut“ — im Jahr 1993 sang sich das damalige Quintett damit in die deutschen Charts. Der ehemalige Thomaner und heutige Popsänger und Komponist Tobias Künzel (52) hat das Lied geschrieben. Fast ein halbes Dutzend Mal ist es seitdem gecovert worden — so nennt man es, wenn ein Künstler das Stück eines anderen Musikers neu einsingt und veröffentlicht. Dafür fließt dann meist Geld an den Urheber des Stückes.
Anders verhält sich der Fall, wenn nur ein winziger Teil des ursprünglichen Liedes — etwa eine Zeile des Refrains oder eine winzige Ton-Sequenz — verwendet und durch permanente Wiederholung zu einem neuen, eigenständigem Stück verarbeitet werden. Dies nennt man dann Sampling und ist besonders im Hip-Hop oder in elektronischer Musik weit verbreitet, ja geradezu existenziell. Geld fließt dafür in der Regel keines — die Komponisten werden meist noch nicht einmal gefragt, ob sie ihr Werk verwurstet haben möchten.
Ralf Hütter (70), Mitbegründer der Düsseldorfer Band Kraftwerk, will sich das nicht gefallen lassen und hat vor beinahe 19 Jahren gegen den Frankfurter Rapper und Musikproduzenten Moses P. Pelham (45) geklagt. Pelham hatte einen zwei Sekunden langen Schnipsel aus dem Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ (1977) kopiert und in Endlosschleife unter den Song „Nur mir“ gelegt, den Rapperin Sabrina Setlur (42) im Jahr 1997 zum Besten gab. In den ersten Instanzen bekam der Düsseldorfer recht, das sogenannte Sampeln wurde Pelham verboten; die letzte, das Bundesverfassungsgericht, gab hingegen am Dienstag Pelham recht, der Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte. Unterstützt wurde er dabei von anderen Künstlern wie Rapper Bushido (38) und der Sängerin Sarah Connor (36).
In der Sache Hütter gegen Pelham hat zwar letztlich der Bundesgerichtshof (BGH) das letzte Wort, grundsätzlich haben die Verfassungsrichter aber im Sinne Pelhams entschieden. Ein Verbot würde „die Schaffung von Musikstücken einer bestimmten Stilrichtung praktisch ausschließen“ begründete gestern Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof das Urteil.
Die Entscheidung fiel demnach wegen der Kürze des verwendeten Ausschnitts und auch mit Blick auf einen wirtschaftlichen Schaden, den die Richter bei Kraftwerk aber nicht erkennen konnten. Pelham war nach der Urteilsverkündung zufrieden: „Ich glaube, dass es für die Fortentwicklung der Kunst sehr, sehr wichtig ist.“ Der Anwalt von Hütter hingegen hofft jetzt auf den BGH. „Aus unserer Sicht beginnt das Spiel nun von vorn“, sagte Christian Winterhoff. Das Ergebnis bleibe abzuwarten.
In der Musik-Szene wird das Urteil mit Genugtuung aufgenommen. „Für uns ist das eine gute Entscheidung, Sampling ist für Hip-Hop oftmals ein unersetzbares Stilmittel“, sagt Elvir Omerbegovic (37), Inhaber des Düsseldorfer Independent-Labels Selfmade Records, bei dem unter anderem der erfolgreiche Rapper Kollegah (32, Felix Antoine Blume) unter Vertrag steht. Florian Sitzmann (39), Keyboarder der Söhne Mannheims und zugleich Professor an der Popakademie Baden-Württemberg, sieht durch die Entscheidung eine Chance, dass es künftig „künstlerisch-freiheitlicher zugeht“. Für ihn macht das Urteil vieles einfacher und wahrt dennoch die Rechte der Künstler.