In Cannes regiert die Familie

Auch die Regisseure haben das Thema für sich entdeckt.

Cannes. Filmfestivals haben stets etwas von einem gigantischen Familientreffen, bei dem sich die Branche trifft und feiert. Auf Partys und Empfängen werden Beziehungen aufgefrischt, Fotos der Kinder machen die Runde. Doch nur selten war das Thema Familie auch auf der Leinwand so dominant wie in der ersten Halbzeit des 61. Wettbewerbs von Cannes.

Da gibt es kaum Politik, nur schwache Provokation. Doch wenn man seine Vorstellung vom Familienleben in den Ländern der Welt nur aus den Beiträgen im Rennen um die Goldene Palme beziehen würde, entstünde ein schräges Bild. Türkische Familien etwa haben finstere Geheimnisse von Verbrechen und Verrat. Aber in "Die drei Affen" von Nuri Bilge Ceylan reden sie nicht drüber, sondern gucken bedeutungsschwer und schwitzen schweigend. Ceylan ist allerdings ein Meister des Ungesagten.

Geld regiert die Beziehungen auch in "La silence de Lorna" (Lornas Schweigen) von Jean-Pierre und Luc Dardenne. Die Brüder aus Belgien, die bereits zwei Goldene Palmen gewonnen haben, folgen einer jungen Albanerin, die sich durch bezahlte Scheinehen ihren Traum vom eigenen Imbiss erfüllen will. Doch sie erträgt den bitteren Austausch von Geld gegen Liebe nicht. Der Film beginnt stark, hat aber nicht die gewohnte Intensität.

Im italienischen Film "Gomorra" von Matteo Garrone ersetzen Machtverhältnisse und Bandenzugehörigkeit familiäre Bindungen. In einem von der Camorra regierten Slum bei Neapel wechseln Banknoten in Umschlägen den Besitzer, Kinder werden zu Killern, die Väter sitzen beim Boss oder im Knast. Das Gesetz der Camorra kennt nur Freund oder Feind, Treue oder Rache. Der Film nach dem Bestseller von Roberto Saviano zeigt eine Welt, in der das verbrecherische "System" auch das Private beherrscht.

Ach ja, dann wäre da noch der meistbeachtete Film der Côte d’ Azur: "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels". Er ist nicht nur die familiär-harmonische Wiedervereinigung dreier Überväter des Blockbuster-Kinos (Lucas, Spielberg, Ford) - auch "Indy" selbst muss sich mit dem Thema Familie auseinandersetzen, als ihn nach 20 Jahren die Folgen seiner amourösen Vergangenheit einholen.

Das ist zwar nur ein Randaspekt des von der Kritik ungnädig beurteilten Action-Streifens. Doch, soviel sei hier schon verraten: Gerade das Beziehungsgeplänkel zwischen Harrison Ford und Film-Liebe Marion (Karen Allen) gehört zu den stärksten Elementen von Indy IV.