Kunst Hodlers Grazien erwachen in der Bundeskunsthalle zu neuem Glanz
Vor seinem 100. Todestag erhält der Nationalkünstler der Schweiz eine große Ausstellung in Bonn.
Bonn. Ferdinand Hodler (1853 bis 1918), der Nationalmaler der Schweiz, gehört zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts. Seine Gemälde lassen sich nicht einordnen, sind nicht romantisch, expressionistisch oder neusachlich. Sie wirken beseelt, als sollten die Gefühle in der Kopf- und Armhaltung, der Schrittfolge und den Rückendrehungen zum Ausdruck kommen. In einer Zeit, wo das Coole gefragt ist, wirken sie mit weggetretenem Gesichtsausdruck wie aus der Zeit gefallen. Nun stellt die Bundeskunsthalle diesen „Maler der frühen Moderne“ — so der Untertitel — in ihren Räumen vor.
Hodler, der Außenseiter mit der Tellerwäscher-Karriere, dessen Eltern und Geschwister an Tuberkulose starben, begriff beizeiten, dass das Monumentale die größte Aufmerksamkeit erheischt im heiß umkämpften Kunstmarkt von anno dazumal. Seine großen Formate wirken repräsentativ, aber sie erinnern immer auch an Traumbilder, so klar sind die Konturen, so flach die Perspektiven. Zugleich wirken sie wie Balance-Akte zwischen dem Naturalismus und der symbolischen Überhöhung.
Hodler arbeitete sich zäh zum Erfolg. Als Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts stellte er seine Staffelei vor das Panorama in den Alpen, setzte sich auf eine Anhöhe im Angesicht des Genfer Sees oder ließ seine Grazien mitsamt dem Ateliertuch auf der grünen Blümchenwiese hocken. Dennoch entstehen da keine Zwiegespräche von Natur und Menschen. Alles wirkt wie erträumt, aber so genau wie eine geomorphologische Studie.
Das Gemälde „Buchenwald“ (1885/1890) wirkt so durchsichtig und durchlässig in der Staffelung der schlanken Bäume, als handele es sich um ein Foto der Becher-Schüler Struth und Hütte. Doch Hodler ist viel zu raffiniert, um bloß abzumalen. Er liebt die Bewunderung und Rührung, die seine Bilder beim Betrachter erzeugen sollen. So spiegelt er wie Edvard Munch den Himmel im Wasser und nimmt, wenn es sein muss, mit einer „Dürerscheibe“, einer Glasscheibe also, die Umrisse des Modells auf, bevor er es nachzeichnet und in weite Fernen blicken lässt.
Keiner konnte wie er die Figuren vor einen monochromen Hintergrund in zartem Rosa stellen, das mit dem dunklen Blaulila des Kleides seiner Frau Berthe Jacques korrespondierte. Fein ziseliert wirkt der Umriss von Antlitz und Frisur. Doch dann wieder hält er die Geliebte mit ihrem ausgemergelten Gesicht auf dem Totenbett fest, als sollen wir alle mit ihm um den Verlust trauern.
Die Ausstellung gibt nicht die Totale, wie die bildermächtige Schau von 1999 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München und im Von der Heydt-Museum Wuppertal. Manchmal irritiert die Auswahl, wenn zwar Hodlers Sohn Hector als „bezaubernder Knabe“ (1893/94) gezeigt wird, mit zwei Blütenzweigen in den Händen, aber das grandiose Großformat der „Auserwählten“ mit den wie hydraulisch emporgehobenen sechs Grazien samt Rückenflügeln vor dem knieenden Knaben fehlt. So bleibt die Verwandlung des realen Knaben in eine mystische Person ausgespart.
Doch immerhin ist „Der Tag“ (1901/1910) zu sehen. Hier mischen sich Naturbild und Ideenbild, Wiese mit barocker Draperie. Vieles ist der Zeit geschuldet, der Eurythmie-Bewegung etwa. Die Frau in „Bewunderung“ (1903) wirkt wie aus der Bildungsanstalt des Schweizer Musikpädagogen Emile Jaques-Dalcroze entsprungen. Gret Palucca und Mary Wigman lassen mitsamt dem German Dance grüßen.
Zu den kapitalsten Werken gehört das Motiv des Holzfällers. Wie der Kerl mit dem Hackebeil agiert, wie er sich theatralisch zwischen den Baumstämmen positioniert, wie er das Gesicht zur kraftvollen Maske verzerrt, während im Hintergrund ein leicht verhangener Himmel mit einem abstrahierten Wölkchen einen Vorgeschmack der Abstraktion bietet, das ist grandiose Malerei. Mit diesem Motiv schaffte er es auf den 50-Franken-Schein.
Erstmals verlässt das Breitwandbild „Auszug der deutschen Studenten in den Freiheitskrieg von 1813“ die Aula der Universität Jena, für die es als Auftragsarbeit geschaffen wurde, weil Jenaer Studenten einst gegen die französische Invasion aufmarschierten. Ein nicht mehr ganz so taufrisches Motiv, das Ferdinand Hodler glücklicherweise ins Allgemeine übertrug. Wie in einem Bilderbogen schlüpfen Jünglinge in ihre Uniform, besteigen das Pferd und rücken den Ranzen zurecht, während im oberen Bildstreifen 24 Soldaten mit aufgeschultertem Gewehr losziehen.
Im Nachhinein wirkt die Darstellung wie eine Vorwegnahme des Ersten Weltkriegs. Doch zu diesem Datum fiel er in Ungnade, weil er gegen die Beschießung der Kathedrale von Reims durch deutsche Truppen protestierte. Das Bild verschwand hinter einer Bretterwand. Noch vor Ende des Krieges starb der 65-Jährige an einer Lungenkrankheit.
Im nächsten Jahr wird sein 100. Todestag begangen. Bonn bietet das Präludium.