Bonner Bundeskunsthalle Das Gesicht als teuflisch-schöne Maske
In der Bonner Bundeskunsthalle breitet die Künstlerin Katharina Sieverding ihr großes Werk aus 50 Jahren aus.
Bonn. Katharina Sieverding (72) ist eine Ausnahmekünstlerin. Sie produziert grandiose Bilder, aber mit einem beispielhaften Ethos. „Deutschland wird deutscher“ klebte sie 1992/93 auf Plakate im öffentlichen Raum und wurde selbst von einer Kirchengemeinde heftig wegen „unerhörter Provokation“ attackiert, obwohl sie doch den Chauvinismus nach Ausschreitungen in Hoyerswerda auf den Punkt brachte und Messer auf ihren eigenen Körper richtete. Die Arbeit ist immer noch aktuell, so dass sie nun im Köln/Bonner Stadtraum platziert wird. Ein Bild voller Mut und sinnlicher Schönheit. Nun präsentiert sie in der Bundeskunsthalle eine triumphale Retrospektive über 50 produktive Jahre.
Brillant hat sie im Verbund mit der Kuratorin Susanne Kleine die Schau gehängt. Gleich im Eingang zeigt sie ihre beiden wichtigsten Themen, die atomare Bedrohung und ihr Selbstbildnis wie ein Gegenbild, als müsse sie sich ihrer eigenen Existenz ständig versichern.
„Die letzten Knöpfe sind gedrückt“ heißt es zur Begrüßung in Blautönen. Später wird sie unter dem Titel „Schlachtfeld Deutschland“ auf das Schwarzweißbild einer GSG 9-Einheit aus dem „Spiegel“ in schreiendem Violett reagieren und erklären: „Kunst existiert nicht im Elfenbeinturm, sondern im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext.“
Ständig hinterfragt sie die Kraft der Bilder, zitiert, appropriiert, kombiniert, transformiert und kommuniziert. Fotografie ist für sie nie Abbild, nie schöner Schein. Ein Tulpenfeld wird sich bei ihr nicht finden. Dennoch lockt sie mit einer raffinierten Ästhetik. Die Bilder sind farbenfroh, aber explosiv. Schönheit kann gefährlich sein, weiß sie. Und fügt Fragen nach falsch verstandener Macht und Moral hinterher.
Sie war die erste Künstlerin an der Düsseldorfer Akademie, die mit dem Großformat gearbeitet hat, lange vor der Becherklasse. Früher hat sie die meterlangen Fotos aneinandergeklebt, jetzt werden sie in stählernen Rahmen hinter Acrylglas Kante an Kante gesetzt. Sie will damit nicht nur betören, sondern den Betrachter ins Bild ziehen. Die Werke in Lebensgröße sind immer auch eine „klare Setzung“, wie es Kunsthallenchef Rein Wolfs nennt. Es sind natürlich auch Gegenentwürfe zu Selfies, die keine Welt verändern wollen, sondern lediglich bestätigen, wo sich der Knipser aufhält.
Kunst und Kapital nennt sie ihre beeindruckende Schau. Sie zitiert damit Karl Marx, dessen Kritik der politischen Ökonomie vor 150 Jahren als Analyse der kapitalistischen Gesellschaft erschienen ist. Sie ironisiert den Kunstkompass, der die Kunst nach kapitalistischen Prinzipien einordnet. Und sie grüßt ihren Lehrer Joseph Beuys, den sie in ihrem Werk am besten verstanden hat. Bei der Pressekonferenz am Freitag in Bonn machte sie aber auch klar, dass es zu eng gefasst sei, ihr Werk in der Nachfolge von Beuys zu sehen. Sie habe vor der Beschäftigung mit der bildenden Kunst mit großen Intendanten im Theater gearbeitet, einige Semester Medizin studiert, das Independent Study Program in New York und das Center for Art and Communication in Toronto besucht. Will heißen: Ihr Werk ist viel weiter gefasst als das von Beuys.
Ihre künstlerische Strategie ist seit Studentenjahren gleich geblieben: Sie geht vom Selbstbildnis aus, das sie vergoldet, solarisiert, wie eine Maske behandelt und zum Gradmesser nimmt, um persönliche mit historischen oder tagespolitischen Ereignissen zu verknüpfen.
Sie braucht kein Modell, höchstens ihren Freund, Lebensgefährten und Ehemann Klaus Mettig, um sich im Wechsel von Mann und Frau, Ich und Du zu befragen und zu transformieren. Es ist faszinierend zu beobachten, wie durch Überlagerung Bilder im Bild entstehen. Noch heute glaubt sie im Gegensatz zu eingeschworenen Feministinnen, in jedem Menschen stecken sowohl feminine als auch maskuline Züge. Das maskenhafte Antlitz mit Goldstaub lässt das Gesicht zur Ikone und zum Lichtkörper werden.
Als Tochter eines Radiologen ist sie mit dem teuflischen Uran im Labor vertraut. In Panoramen von Menschenmassen scheint es, als breite sich radioaktives Material über die Köpfe der Kauernden auf dem Platz zum himmlischen Frieden aus. Farbumkehrungen, Überlagerungen, Verschiebungen während des Belichtungsprozesses suggerieren in ihrem Werk eine latente Angst.
Aber zugleich herrscht die Geste der Grandezza. Bis zur Höhe von neun Metern reichen die Wände in Bonn, auf denen sie den Kristallisationsprozess mit kapillarem Blut durch Zusatz von Kupferchlorid demonstriert. Der menschliche Organismus wird gleichsam von innen durchleuchtet und verwandelt sich in abstrakte Strukturen aus reinem Licht, die mit ungeheurer Gewalt den Raum artikulieren.
Sie ist nicht die erste Künstlerin, die mit dem Bildmaterial der NASA arbeitet, aber die erste, die im Kosmos eine farbige Urgewalt sieht. Tausende von Sonnenbildern hat sie animiert, bis eine blubbernde, suggestive, energetische Strahlkraft in roter und blauer Kreisform entsteht. „Mit solchen Bildern“, so die Kuratorin, wird dem Betrachter der Boden unter den Füßen entzogen.“