Ausstellung Marcel Broodthaers im K 21: Der Künstler mit dem Lied auf den Lippen
Marcel Broodthaers erhält eine große Retrospektive in der Kunstsammlung NRW im Ständehaus.
Düsseldorf. 1972 schrieb Marcel Broodthaers (1924 bis 1976) einen offenen Brief an Joseph Beuys. Der belgische Künstler lebte damals in Düsseldorf, hatte sein Atelier in einem Keller am Burgplatz und war arm wie eine Kirchenmaus. Beuys aber machte mächtigen Wirbel an der Kunstakademie Düsseldorf, der zu seiner Entlassung führte. Der Stillere zog einen kühnen Vergleich. Er sah sich als Operettenkomponist Jacques Offenbach, während er sein Gegenüber mit dem Operngenie Richard Wagner verglich.
Kein schlechter Vergleich. Beuys knüpfte reale politische Aktionen an die Kunst, während Broodthaers mit der Fiktion operierte. Der vom Surrealismus geprägte Flame hielt nichts von einer Gleichung aus Kunst und Leben. Für ihn war alles Kunst, von der Muschel im Eimer bis zur Eierschale auf dem Bild mit den belgischen Nationalfarben. Nun wird dieser Grenzgänger nach allen Richtlinien kuratorischer Praxis im K 21 präsentiert.
Broodthaers war Künstler, Betrachter, Schauspieler, Regisseur, Kurator und Autor. Aber er war nie Maler, Bildhauer oder Filmer. Seine Filmstreifen waren bescheiden. Mit einer Taschenlampe fuchtelte er 1957 über einer Collage von Kurt Schwitters. 24 Sekunden dauerte ein weiterer Streifen. Es war die Zeitspanne, die er brauchte, um seine Signatur MB zu schreiben.
Schon 1963 gipste er die Restauflage eines Gedichtbands ein, als wolle er sie beerdigen. Es half nichts, er blieb sein Leben lang Poet. Er liebte die Ironie, den Humor, das intelligente Spiel mit den Buchstaben und Symbolen. Die Paradoxien von Sein und Vorstellen, von Vorstellen und Unterstellen, die Faktizität eines Dings und seine Geschichte deckte er auf.
Auf leise-satirische Weise polemisierte er gegen das Gehabe der Künstler wie der Museen. Weil er den Kunsthäusern nicht traute, gründete er sein eigenes Musée d’Art Moderne, mit diversen Abteilungen und dem Adler als Herrschaftszeichen. Damit ihm niemand sein Spiel verdarb, setzte er sich selbst als Direktor, Kustos und Konservator ein. Der damalige Leiter der Kunsthalle Düsseldorf, Jürgen Harten, machte das Spiel mit. Zuvor hatte das schon der Mönchengladbacher Museumschef Johannes Cladders getan, der nicht nur redete, sondern auch die Schätze aus dem Keller-Atelier ins Museum stellte.
Miesmuscheln gelten als belgische Spezialität. Sie werden im großen Pott gekocht und mit Pommes frites verzehrt. Sie gehören zu den Objekten dieses Konzeptkünstlers wie die Uhr, der Koffer, die Plastikschilder und die ausgeschnittenen Augen und Münder aus der Kosmetikwerbung. Die Pop Art und die Akkumulationen der Neuen Realisten lassen grüßen. Nationalfarben setzte er ein, um die nationalistische Ideologie und den Hochmut der Franzosen gegenüber den Belgiern zu dokumentieren.
„Muscheln, Eier, Fritten, Töpfe, Kohle“ nannte er seine Galerieausstellung 1966 in Antwerpen. Wer aber meinte, er habe nun einen waschechten Pop-Artisten vor sich, dem schlug MB ein Schnippchen. Zehn ausgewachsene Palmen stellte er als Präludium zu seinen Ausstellungen, als gehe es um eine Heroisierung der eigenen Werke. Bei Beerdigungen muss der Trauernde für jede Palme einen Aufschlag zahlen. Broodthaers nannte dieses Grün sinnigerweise „Dekor“. Damit schmückt er doppeldeutig seine Inszenierungen.
Der Künstler war ein Kind seiner Zeit und liebte doch zugleich die Ausblicke und die Rückblicke. Das 19. Jahrhundert taucht in Postkarten und in passablen Durchschnitts-Bildern auf, der Ausblick gilt der Persiflage. Denn was tun die Museen anderes als sammeln und klassifizieren. In der Kunsthalle von 1972 und jetzt wieder im K 21 tauchen Hunderte von Adlerdarstellungen, Werbeanzeigen, Logos, Zitate mit Anspielungen vor allem auf die Surrealisten auf.
Und was macht ein Museum der Gegenwart daraus? Stolz erklären die drei kooperierenden Museen aus New York, Madrid und Düsseldorf, die Retrospektive enthalte 400 Objekte. Eine Totale ist es geworden, an der über vier Jahre lang in New York und Madrid fleißig gearbeitet wurde. Eine kuratorische Glanzleistung. Die Musik von Jacques Offenbach allerdings erklingt nur ganz leise im letzten Raum. Wieder gibt es Palmen. Diesmal stehen sie auf altar-artigen Treppenstufen. Es ist fast, als werde Broodthaers nun endgültig in den Himmel geholt.