Noldes „Meisterwerke“ Auf den Spuren des „Magiers der Farben“

Neukirchen-Seebüll (dpa) - Der Kunsthistoriker musste draußen bleiben. Christian Ring, von Haus aus eben solcher, hat sich für die Ausstellung zum 150. Geburtstag Emil Noldes ganz an den Rat von Joachim von Lepel, früherer Sekretär des expressionistischen Malers, gehalten: weniger Intellekt, mehr Gefühl.

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Und kaum eine andere Ausstellung zeigte den nordfriesischen Künstler je so vielseitig.

Unter dem Titel „Meisterwerke“ (1.3.-30.11.) zeigt die Nolde-Stiftung im früherem Wohnhaus des Malers in Neukirchen-Seebüll nahe der dänischen Grenze tiefe Einblicke in dessen Leben und Werk. Allein im lichtdurchfluteten Bildersaal reihen sich in der 61. Jahresausstellung der Stiftung mehr als 30 Gemälde aller Schaffensperioden. 130 Kunstwerke umfasst die Ausstellung zum runden Geburtstag des Malers (1867-1956) insgesamt, darunter 50 Malereien - und 23 Werke, die noch nie in Seebüll zu sehen waren.

„Sie müssen alle miteinander sprechen“, sagt Ring, Direktor der Nolde-Stiftung, zur Herausforderung, das Jahrzehnte umfassende Œuvre auf kleinstem Raum zu präsentieren. Zentral an der Stirnseite des Bildersaals prangen drei Selbstbildnisse Noldes, umrahmt von knalligen Sonnenblumen. „Sie zeigen, wie sich Nolde verändert hat, mit schüchternem abweichenden Blick als 50-Jähriger und selbstsicher als 80-Jähriger“, erklärt Ring die Gemälde aus den Jahren 1917 (2x) und 1947, die nun erstmals als Triptychon zu sehen sind.

Auch Weggefährten erhalten Platz: In Form des von der Stiftung neu erworbenen Gemäldes „Probst Vilstrup und Frau“, auf dem Noldes frisch angetraute Frau Ada erstmals zu sehen ist, sitzend mit ihrem Onkel. Oder im „Doppelbildnis“ (1913), in dem der Künstler versuchte, das innere Seelenleben und die Empfindungen eines befreundeten Schweizer Arztes darzustellen, statt dessen detailgetreues Porträt zu malen.

Auf engstem Raum kann der Besucher anhand der „Meisterwerke“ Noldes Weg von der tonigen impressionistischen Malerei hin zu seiner Rolle als Wegbreiter der Moderne und Mitglied der Berliner „Brücke“-Gruppe um Ernst Ludwig Kirchner nachverfolgen. Ausgehend vom dunklen „Probst Vilstrup“ (1902) werden Noldes Werke nach und nach farbiger, die Pinsel länger, die Striche breiter. Gut zehn Jahre später ist er im Expressionismus angekommen: „Kerzentänzerinnen“ (1912) faszinieren mit kräftigem Rot. „Lebensfreude, Aufgelöstheit der Form, nur noch Farbe pur“, sagt Ring. Die „Leute im Dorfkrug“ (1912) zeigen eine ungewohnt schroffe Seite des Künstlers.

Spätestens jetzt war Nolde ein „Magier der Farbe“, wie die Kunsthistorikerin und stellvertretende Stiftungsdirektorin Astrid Becker es ausdrückt. Nicht nur in den wütend orange-roten Wolken, mit denen Nolde die karge Marschlandschaft seiner Heimat in Öl festhält, sondern auch bei den Aquarell-Kabinetten, die erstmals auf verschiedenfarbig gestrichenen Wänden hängen. Blumen, Kakteen, teils in wilder Petersburger Hängung. „Um aus dem Vollen schöpfen zu können“, begründet Ring die Neuerung.

„Natürlich könnten die Bilder rechts und links gut zwei Meter Platz gebrauchen“, weiß auch er zu den Werken im Bildersaal. Dank der ausgewogenen Farbgestaltung gelingt ihm und seinem Team aber das schier Unmögliche: Die Ausstellung fühlt sich gut an. Zwei kleine Bilder aus dem romantischeren Spätwerk sorgen etwa im Saal für Ruhe.

Im Jubiläumsjahr soll die Nolde-Schau erstmals auch um Werke eines weiteren Künstlers ergänzt werden: Vier Skulpturen des britischen Bildhauers Henry Moore sollen von Ende April an die Ausstellung in dem Museum, das vergangenes Jahr 64 000 Menschen besuchten (1400 im Vergleich zu 2015), komplettieren. „Die Landschaft Yorkshire ist der unseren gar nicht so fremd“, sagt Becker.

Zudem, ergänzt Ring, gebe es einen neuen Film, der auch die bis heute ungeklärte Rolle Noldes während der Nazi-Diktatur thematisiert. Denn der von den Nazis verfemte Künstler liebäugelte auch mit dem Faschismus - und trat 1934 etwa der „Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Schleswig“ (NSAN) bei. Bis Ende 2017 wollen auch die Wissenschaftler Aya Soika (Bard College Berlin) und Bernhard Fulda (Cambridge) die Ergebnisse ihrer Aufarbeitung präsentieren. Dazu plant die Nolde-Stiftung ein Symposium - und spätestens dann ist Ring auch als Kunsthistoriker wieder gefragt.