Gerhard Rühm: Schrift als Kunst
Das Museum Ludwig widmet dem Altmeister eine Schau.
Köln. Seine Kunst ist eine äußerst feine, sie verlangt Fingerspitzengefühl, ein sehr gutes und gedulddiges Gehör sowie einen geschulten Blick. Hauen andere bildende Künstler wie Anselm Kiefer, Lucian Freud oder Neo Rauch die Ölfarben kübelweise auf die meist riesigen Leinwände, nimmt Gerhard Rühm weißes Papier von der bescheidenen Größe eines Briefbogens. Anfangs spannte er ihn dann in die gute alte Schreibmaschine und ließ mit ihrer Hilfe ein Kunstwerk aus Bild und Sprache entstehen, ein "Ideogramm".
Ein zauberhaftes dieser Blätter, "Falte" (1954-57), eröffnet denn auch die Ausstellung mit Werken des Wieners Gerhard Rühm im Grafik-Kabinett des Museums Ludwig. Das Wort "falte" bildet unter- beziehungsweise übereinander stehend eine Kolumne, und der obere rechte Rand ist zur realen Faltung gefältelt, doch das unterbricht die Kolonne keineswegs. Sie wandert einfach darüber hinweg.
Ebenso subtil ist das Schreibmaschinen-Ideogramm "falle", das, wiederum per Schreibmaschine auf weißem Papier, eine auf der Spitze stehende Pyramide aus den Buchstaben von "falle" zeigt, bis am Ende nur noch das "all" übrig bleibt. Das hat so viel mehr als nur raffinierten Hintersinn, dass man eine Sprach- und Bildphilosophie darauf aufbauen könnte. Ebenfalls ein frühes Werk ist "Welkes Laub" (1956).
Dieses Verfahren, dieses Ereignis nennt man Visuelle Poesie und "écriture automatique", die eine lange Tradition hat, und deren prominenteste Vertreter im 20. Jahrhundert Kurt Schwitters, Gertrude Stein und Paul Scheerbart waren, gefolgt von der Wiener Gruppe um Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer, Oswald Wiener - und eben Gerhard Rühm. Doch dank der Vielseitigkeit Rühms - er studierte zunächst Klavier und Komposition - ragt sein Schaffen auch in andere Bereiche, in das Neue Hörspiel, in die Akustische Kunst.
Die Kölner Schau ist klein, aber eben fein - alle Blätter stammen aus Eigenbesitz - und erinnert vor allem an jene Zeit, die jetzt schon ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Aber Rühm ist noch immer aktuell, wie die Tatsache belegt, dass er 2006 eine üppige Ausstellung im Kasseler Fridericianum hatte.
Skripturale Meditationen wechseln mit sozialkritischen Collagen ab. So klebt er einen Zeitungsbericht über tierquälende Kinder aufs Papier, aus dem hervorgeht, dass ein Erwachsener dabeistand und jemand, der sich entsetzte, fragte: "Was geht das Sie eigentlich an?" Darunter zeichnet und textet er etwas und nennt das Bild "Grafische Reaktion auf Zeitungsmeldung".
Die Schau bereitet dem, der sich die Zeit lässt, zu schauen und wirklich mit allen Sinnen (und nicht nur mit Verstand und Vernunft) nachzudenken, ein vergnügliches Erlebnis. Zur Ausstellung ist der erste Band der Reihe "Grafische Sammlung/Museum Ludwig" erschienen (sechs Euro).
Bis 8. Juni, di-so 10-18 Uhr, 1. Fr. im Monat 10-22 Uhr, Telefon: 0221/022126165