Wand vor Wand „German Angst 3“: Gregor Schneiders alptraumhafte Räume

Bonn (dpa) - Wer in Gregor Schneiders „Liebeslaube“ will, muss durch einen niedrigen Gang um die Ecke kriechen. Man rappelt sich wieder hoch und steht in einer schmalen steril-weißen Kammer mit schmalem Bett links, Badewanne rechts und eingebauter Kochnische.

Foto: dpa

Die Fenster sind verklebt.

Foto: dpa

Wer Schneiders verstörende Raumkonstruktionen betritt, braucht ein gutes Nervenkostüm - und darf keine Platzangst haben. In der Bundeskunsthalle Bonn hat der 47-jährige Kunstprofessor aus Mönchengladbach-Rheydt jetzt einen unheimlichen Parcours seiner wichtigsten Werke aufgebaut.

Foto: dpa

Der Gewinner des Goldenen Löwen der Kunstbiennale Venedig 2001 zeigt in der Schau „Wand vor Wand“ (bis 19. Februar) erstmals sein Gesamtwerk in einem Zusammenhang - bis zurück zu Porträt- und Aktmalereien, die er als 14-Jähriger anfertigte.

Foto: dpa

Doch es geht seit vielen Jahren in Schneiders Werk um Räume. Da ist der „Guantánamo-Raum“, ein strahlend weiß gestrichener Korridor mit roten Türattrappen - von der Außenwelt abgeschnitten wie auch die feucht-warme fensterlose Kammer und der eisigkalte Raum. Nur schnell raus - aber es ist dunkel, der Besucher muss sich vortasten, gelangt in schäbige Wohn- und Schlafräume mit billiger Raufaser, in eine grau verputzte Garage, in einen muffig riechenden Kellerraum mit Öltank und in eine „Wunderkammer“ voller staubiger und rostiger Hinterlassenschaften.

Draußen steht man vor einer Bodeninstallation aus kopflosen Kinderpuppen, deren Oberkörper mit blauen Abfallsäcken bedeckt sind. Durch ein Abflussrohr von 1,60 Meter Durchmesser muss man steigen, um ein fensterloses Kinderzimmer mit rosa Matratze zu betreten. Man denkt an Josef Fritzl, an Verliese und Gewalt.

„Ich habe über 200 Räume, ein großes Raumarchiv“, sagt Schneider. „Ich bin der, der tatsächlich einen Raum als einen gebauten Raum definiert - Wände, Boden, Decke.“ Das hört sich natürlich einfacher an, als es ist. Denn Schneider schneidet Zimmer aus Häusern heraus, baut sie woanders wieder ein. Oder er baut Kopien von Räumen in Originalräume. Aus dem Heim macht er das Unheimliche. „Die Kernfrage ist: Sind Zimmer Zellen?“, sagt Schneider. „Und was machen diese Zimmer mit uns?“

Schneider bewegt das, was normalerweise als „Immobilie“ gilt - Häuser, Zimmerdecken und sogar Straßen. Im indischen Kalkutta etwa baute er die Straße vor der Haustür seines Rheydter Hauses nach - aber um 90 Grad gedreht: Die perfekte Straßenkopie ragte 30 Meter steil in den Himmel hoch. Am Ende der Aktion wurde der Straßenschutt samt bunter Göttinnenfiguren in den Ganges gekippt. Schneider zog sie wieder heraus und transportierte die schlammig-braunen Reste nach Deutschland.

Erstmals ist auch der umstrittene „Sterberaum“ zu sehen. Schneiders Plan, in dem Zimmer einen Menschen öffentlich sterben zu lassen, hatte 2008 einen Proteststurm ausgelöst. „Für mich ist das der zentrale Raum“, sagt Schneider. „Sterben bedeutet die Auflösung, der Tod ist das absolut Unsichtbare.“ Würde er sich selber in den Raum mit honigfarbenem Holzfurnier legen und sterben? So abwegig findet Schneider den Gedanken nicht.

Hat der Künstler ein Trauma?, fragt man sich? Nein, als jüngster von drei Brüdern habe er einfach in seiner abseitigen Kunst Erfolg und Bestätigung gefunden. Nachdem er sich als Jugendlicher für eine Performance mit einer Mehlmatsche überzogen hatte, kam er auf das Thema Kisten und die Vorstellung, dass man darin total isoliert sitzen könnte. „Und gibt es davon eine Steigerung? Dann war ich bei der Wand vor der Wand.“

Sein kleinbürgerliches Rheydter „Haus u r“ baute Schneider in den 1938 von den Nazis umgestalteten deutschen Pavillon in Venedig ein. Ein politischer Künstler aber will er nicht sein. Vor zwei Jahren lud er Bauschutt aus dem Geburtshaus von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels in Warschau ab. Das Haus hatte Schneider zuvor in Rheydt gekauft und entkernt. Videos der Aktion sind in der Bonner Ausstellung zu sehen.

Die Räume Schneiders sind immer geschlossen, oft schalldicht, fast nie gibt es eine Öffnung nach draußen - außer im „Matschraum“ mit dem Lehmbecken und dem Loch in der Decke. Hindurch kann Regen und Schnee fallen. Der Raum ist komplett der Witterung ausgesetzt, alles darf verrotten. „German Angst 3“ nennt Schneider den „Matschraum“ und ist sichtlich zufrieden. „Die Deutschen sind Weltmeister darin, Angst zu transportieren.“