Meister der Strichmännchen Künstlerisches Multitalent: A.R. Penck gestorben

Paris (dpa) - Wenige große zeitgenössische Künstler machten sich so unsichtbar wie A.R. Penck. Der Meister der Strichmännchen verweigerte sich dem Kunstbetrieb, während seine Bilder und Objekte hoch gehandelt wurden.

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Nun starb Penck nach längerer Krankheit am Dienstag in Zürich. Er wurde 77 Jahre alt. Wie Sigmar Polke und Gerhard Richter gehörte Penck zu den bedeutenden Kunstprotagonisten, die aus der DDR in den Westen kamen.

Pencks Bildsprache hat einen hohen Wiedererkennungswert: Sie erinnert an Höhlenmalerei und asiatische Kalligrafie. Doch hinter seiner eigenwilligen Ästhetik aus Strichmännchen mit erigierten Penissen, Kreuzzeichen, Totenköpfen und beißenden Hunden stand ein inhaltsschweres Thema: Die damalige Teilung Deutschlands und die Suche des Individuums nach einer freien Gesellschaft.

Mit seinem Künstlernamen verwies Penck, der am 5. Oktober 1939 unter dem Namen Ralf Winkler in Dresden geboren wurde, auf den Eiszeitforscher und Geologen Albrecht Penck (1885-1945). Das mag mit dem naturwissenschaftlichen Anspruch zusammenhängen, den auch der Künstler Penck an seine Arbeit stellte. Er malte nicht einfach an prähistorische Höhlenmalerei erinnernde Strichmännchen und primitivistische Zeichen, sondern reflektierte Mathematik, Kybernetik und Mechanik in seinen Bildern. Lange vor Keith Haring (1958-1990) oder Jean-Michel Basquiat (1960-1988) arbeitete Penck bereits im Graffiti-Stil.

Der künstlerische Autodidakt, der als Kind im Jahr 1945 die Luftangriffe auf seine Heimatstadt Dresden erlebt hatte, malte bereits mit zehn Jahren erste Ölbilder. Später belegte er Abendkurse im Aktzeichnen, wurde aber von den Kunsthochschulen der DDR abgelehnt, die mit seinen Denksystemen nichts anfangen konnten. Pencks internationaler Durchbruch war die Teilnahme an der documenta 1972. Teilnehmen konnten allerdings nur seine Bilder, denn die DDR-Behörden verwehrten Penck die Reise nach Kassel. Später schmuggelte er seine Bilder als Geschenkpakete getarnt in den Westen.

Schon 1968 hatte das „Enfant terrible“ der Dresdner Kunstszene seine erste Ausstellung im Westen in der Galerie Michael Werner in Köln. Bis zu seinem Tod vertrat Werner den öffentlichkeitsscheuen Künstler, der zuletzt bei Dublin lebte.

Berühmt ist Pencks Bild „Der Übergang“ von 1963, auf dem ein schwarzes Strichmännchen auf einem brennenden Brett über eine Schlucht balanciert. Das Bild wird meist als Metapher für die damalige Teilung der beiden deutschen Staaten gesehen.

Nach seiner Ausbürgerung 1980 siedelte Penck nach Kerpen bei Köln über, danach zog er weiter nach London. Penck entwickelte einen unverwechselbaren Stil. Wie Picasso beschäftigte er sich mit ethnologischen und archäologischen Werken.

„Eigentlich betrieb er eine Art anthropologische semiotische Grundlagenforschung, um herauszufinden, wie man eine Gesellschaft besser steuern kann“, sagt der Kunsthistoriker Siegfried Gohr. In Pencks Bildern tauchen Tiere auf, Schlangen, Löwen, Männer mit Waffen, weibliche und männliche Akte, Feuer, Flugzeuge - „ohne dass sie erzählerisch in altmodischem Sinne wären“, sagt Gohr.

Penck gilt auch als Vater der „Neuen Wilden“, einer Bewegung der frühen 1980er Jahre mit einer ironischen und provokativen Ästhetik. Penck bildete schon auf einem seiner ersten Gemälde aus dem Jahr 1955 mit dem Titel „Folterung“ einen nackten Mann ab, der auf einer Art Sprungbock liegt. Mehrere Männer um ihn herum peinigen ihn.

Als Mitte der 80er Jahre Fotografie und Video die Kunst aufwirbelten, machte Penck Holzskulpturen. Der renitente Künstlernomade war ohnehin nie nur auf Malerei fixiert. Er schrieb theoretische Texte, Gedichte mit viel Wortwitz und Essays. Seine heimliche Liebe aber galt der Musik. Penck spielte Klavier und Gitarre und war Jazzmusiker.

Seine letzten Arbeiten - farbenkräftige in Rot, Schwarz und Weiß gehaltene abstrakte Malereien - entstanden in Dublin. Dorthin war Penck wegen seiner Liebe zum Jazz gezogen. Pencks letzte Werke gleichen einer wilden, fröhlichen Partitur und spiegeln seine Leidenschaft für Musik wieder, vor allem für Free Jazz und Jazz Rock. Sie bringen die Seelen-Stimmung eines Künstlers zum Ausdruck, der mit sich und der Welt wieder mehr im Reinen war. Die Totenköpfe und Maschinengewehre sind daraus verschwunden.