Sprayer von Zürich, genialer Zeichner
Harald Naegeli, der Vorläufer der Street Art, ist im Museum angekommen. „Der Prozess“ heißt die Schau des Schweizers in seiner Wahlheimat Düsseldorf.
Düsseldorf. „Der Angeklagte hat es verstanden, über Jahre hinweg die Einwohner von Zürich zu verunsichern und ihren Glauben an die Unverletzlichkeit des Eigentums zu erschüttern“. So urteilte 1981 die II. Strafkammer des Obergerichts im Kanton Zürich über das Werk des „Sprayers von Zürich“ und verurteilte Harald Naegeli zu neun Monaten Haft ohne Bewährung. Der Grund sei „fortgesetzte Sachbeschädigung an 192 öffentlichen und privaten Gebäuden. Im April 1984 stellte sich Naegeli freiwillig und saß vier Monate im Hochsicherheitstrakt in Winterthur, dann im offenen Vollzug. Danach tauchte er in Düsseldorf auf und blieb. Der „Sprayer“ ist längst zur Kultfigur geworden. Jetzt erhält er unter dem Titel „Der Prozess“ eine Ausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf, die am Donnerstag eröffnet wird. Denn was einst kriminell war, gilt längst als Kunst.
Zehn Prozess-Bücher liegen in der Ausstellung aus. Sie sind spannend wie ein Krimi. Naegeli verteidigte sich bei seinen unzähligen Gerichtsterminen stets mit der Behauptung, es sei gar kein Sachschaden entstanden. Im Gegenteil, seine Sprayarbeiten würden die Fassaden bereichern. Die Betonwände seien also nicht beschädigt worden, vielmehr habe es eine Wertsteigerung gegeben.
Selbst in letzter Zeit gab es in Düsseldorf noch Strafanzeigen, die allerdings keine Haft und keine Bewährung mehr zur Folge hatten. Naegeli benutzt allerdings auch keinen Autolack mehr wie noch 1984, als die schwarze Farbe in sattem Strahl auf die Fassaden prallte und kaum zu entfernen war. Das Material ist feiner geworden. Die Graffiti wirken grazil, voller Bewegung, oft auch voller Humor, wie die wunderbare Fotofolge des Fotografen Wolfgang Spiller in 300 Beispielen beweist.
Im Rückblick sagt Harald Naegeli: „Ich habe sehr viel an anonymen, an banalen Gebäuden gesprayt. Ein kunstloser Ort wird durch das Graffiti zu einem magischen Ort. Bei Architektur, die schön ist, halte ich mich zurück.“
Wie ein Lauffeuer gehen seit den 1980er Jahren die Straßenzeichnungen durch die Welt. Sie haben eine enorme Faszination auf die Jugend, die in Zürich seine Kunst derartig nachahmte, dass sich Naegeli schon damals verteidigen musste, nicht alles sei von ihm. Heute hat er allerdings eine eher distanzierte Meinung zur Street Art der Kollegen. „Ich arbeite mit der Linie und nicht plakativ mit der Farbe. Eigentlich gefällt mir das Farbige nicht. Das ist eine größere Annäherung an die Werbung.“
Er sei der geborene Zeichner, ein Schwarz-Weiß-Mensch. Er habe etwas Malerei versucht, aber es sei nichts geworden, wie er meint. Er gibt allerdings auch zu, dass er anfangs selbst nicht geglaubt habe, das Sprühen sei Kunst. Deshalb steht nun in seinem fiktiven Atelier, das er in seiner Ausstellung aufgebaut hat, eine afrikanische Skulptur. Derlei Werke aus Holz seien auch nicht in erster Linie als Kunst verstanden worden, sondern als eine magische Äußerung.
Naegeli, dieser Seiltänzer zwischen Kunst und Anti-Kunst, der mit seiner „menschlichen Gebärde“ gegen die Unpersönlichkeit der Betonträger anrannte, ist jedoch zahm geworden, auch wenn er das Sprayen noch immer nicht aufgibt. Seit 20 Jahren hat er sein eigentliches Thema gefunden, die „Urwolke“. Sie erzeuge keinen „anarchistischen Lusttaumel“, sondern sie sei pure Meditation. Er lobt die zarten Federzeichnungen auf schwerem Büttenpapier als das Beste, was aus unserer Zeit übrig bleiben werde, denn die Anschauung der Wolke sei „unendlich.“
Mit der „Urwolke“ probt er die „zauberhafte Entrückung“ von allem Irdischen und Menschlichen. Mit vielen Strichelchen und Punkten ist er der „Leichtigkeit, Durchsichtigkeit und Beweglichkeit“ auf der Spur. Wie ein Romantiker sucht er nun nach dem „Absoluten“. Und behauptet: „Der einzelne Strich ist ja das Armseligste an Ausdruck. Er ist ganz bescheiden.“ Aber er reiche wie eine kleine Billardkugeln die Energie weiter.