Alicia Keys: Eine Soul-Diva lernt das Rocken

Ausgebrannt war Alicia Keys, einer der wenigen wahren Stars des laufenden Jahrzehnts, nicht. Für ihr neues Album „As I Am“ ließ sie sich trotzdem viel Zeit.

Vier Jahre ist es her, seit Alicia Keys ihr letztes Album veröffentlicht hat. Im schnelllebigen Musik-Business ist das eine halbe Ewigkeit. Ihr Debut "Songs In A Minor" (2001) wurde ebenso wie der Nachfolger "The Diary Of Alicia Keys" mit Auszeichnungen überhäuft. Neun Grammys, elf Billboard-Awards und 80 Millionen verkaufte Tonträger ist die 27-Jährige mittlerweile schwer. Jetzt meldet sie sich mit ihrem dritten Album, schlicht mit "As I Am" betitelt, glanzvoll zurück.

Im Gegensatz zu Kolleginnen wie Amy Winehouse oder Britney Spears hat sie nach den ersten Erfolgen nicht angefangen, sich unter viel Getöse selbst zu demontieren. Es ist vielmehr ungeheuer ruhig um sie geworden. So ruhig, dass schon spekuliert wurde, sie sei nach der steilen Blitz-Karriere ausgebrannt.

Doch Alicia Keys sagt im Gespräch mit unserer Zeitung, sie habe die Zeit genutzt, um zu lernen - musikalisch wie menschlich. Der Tod einer engen Freundin habe sie zurückgeholt aus einer Welt, in der sich alles nur noch ausschließlich um ihre Karriere drehte. Sie drohte die Bodenhaftung zu verlieren: "Ich habe in den vergangenen Jahren so vieles durchgemacht. Ich habe gelernt, mich von Zwängen zu befreien. Dafür steht auch der Titel meines Albums. Er soll mich daran erinnern, was wirklich wichtig ist im Leben."

"As I Am" ist wieder ein hochprofessionelles und perfekt arrangiertes Soul- und R’n’B-Album. Es glänzt mit energiegeladenen Abräumern wie "Go Ahead" und außergewöhnlich stimmigen Balladen. "Superwoman" ist so eine, die man in dieser Form momentan keiner anderen Sängerin zutrauen würde, so herzzerreißend singt sie sich die Seele aus dem Leib.

Wie sie sagt, gehört sie auch zu ihren Lieblingsstücken: "Der Song steht für dunkle Momente in meinem Leben. Man kann nicht immer perfekt sein und ist doch trotzdem einzigartig. Es geht darum, stolz auf sich zu sein."

Stolz kann sie auch auf alle dreizehn neuen Songs sein. Insgesamt sind sie eine wirklich gelungene Verbindung von Soul und HipHop. Sie löst sich mehr von ihrem Piano als früher, bedient sich elektronischer Klänge und mixt Akustik-Gitarren, Trompeten und sogar eine klassische Orgel in die Arrangements. Unterstützung erhielt sie dabei unter anderem von Erfolgs-Songschreiberin und -produzentin Linda Perry, ehemals Frontfrau bei den 4 Non Blondes, die schon P!nk und Christina Aguilera erfolgreich zu einem musikalischen Imagewechsel verholfen hat.

Außerdem hat das Mädchen am Klavier deutlich hörbar auch das Rocken gelernt. "Sure Looks Good To Me" ist schon fast richtiger Blues-Rock. Für die Zukunft stellt die Soul-Prinzessin sogar eine Zusammenarbeit mit den fabulösen White Stripes in Aussicht, deren Schaffen sie sehr bewundert.

Weniger rockig ist die Zusammenarbeit mit dem verträumten Singer-Songwriter John Mayer ("Your Body Is A Wonderland") ausgefallen. "Lesson Learned", bei dem Mayer auch im Hintergrund singt, ist ein Song, der mitten ins Herz trifft und dennoch federleicht durch den Raum schwingt.

Nach wie vor ist aber ein anderer Mann für ihr musikalisches Schaffen unverzichtbar: Kerry "Krucial" Brothers. Sie selber sagt über den langjährigen Partner ihrer "Krucial Keys"-Produktionsfirma: "Meine Alben hätte es ohne ihn nicht gegeben. Er erlaubt es mir, meine kreativen Flügel auszubreiten. Er ist alles für mich." Das Erfolgsrezept der beiden geht bei der ersten Single-Auskopplung "No One" auch sofort wieder auf. Die R’n’B-Hymne stieg in den amerikanischen Billboard-Charts, der offiziellen Single-Hitparade, prompt auf Platz vier ein.

Doch bei all dem intelligenten Songwriting und der perfekten Produktion ist es immer noch die unglaublich leidenschaftliche Stimme von Alicia Keys, die das Album wieder zu etwas Besonderem macht. Sie singt jeden einzelnen Song einfach grandios und mit Gänsehaut-Faktor. Wenn die Sängerin über ihr Album selbstbewusst sagt: "Janis Joplin trifft Aretha Franklin", dann ist das keine Blasphemie, sondern eigentlich eine ziemlich gelungene Beschreibung.

Kurzkritik Die Songs sind eigenwillige Grenzgänge zwischen Soul, Rock und HipHop. Trotz perfekter Produktion klingen sie nicht glatt poliert. Alicia Keys beweist sich nicht nur als brillante Songschreiberin, sondern vor allem als atemberaubende Sängerin, an deren Klasse neue Stimmwunder wie Joss Stone oder Amy Winehouse noch nicht ganz heranreichen wollen. Auch die Mitarbeit anderer Musiker hat gut getan. Die Tracks sind kein bloßer Aufguss vom alten Erfolgsrezept. Ein partytauglicher Tanzflächenfüller will sich bei Miss Keys allerdings nach wie vor nicht verirren. Das ist einfach nicht ihr Stil.

Highlights Neben dem hymnischen "No One" hat auch "Go Ahead” das Potenzial zum Nummer-Eins-Hit, der durch prägnante Beats eine große Energie gewinnt. "Superwoman" ist ein mit viel Hingabe gesungener Ohrwurm, den man problemlos zehn Mal hintereinander hören kann.