Die Söhne des Wanderpredigers
2008 war das Jahr der Kings of Leon: Vom Geheimtipp mauserte sich das Quartett zu einer Band, die innerhalb weniger Minuten ganze Stadien ausverkauft.
Der Indie-Rock wird auch diese Band an den Mainstream verlieren. Genauer gesagt: Er hat sie bereits verloren. Vor knapp einem Jahr waren die Kings of Leon den Gelegenheits-Radiohörern kein Begriff. Natürlich: Sie hatten da schon zwei Alben veröffentlicht.
Dennoch existierte die Band aus Tennessee nur für Eingeweihte, für solche Typen, die um musikalische Allgemeingültigkeit einen großen Bogen machen und lieber Clubkonzerte besuchen als bombastische Stadion-Shows.
Und nun das: Die Kings of Leon wandeln auf den Spuren der Killers. Sie schicken sich an, die zweiten Coldplay zu werden. Sie sind die Band des gerade abgelaufenen Jahres. Und wer Band des Jahres ist, der kann unmöglich den zwingend auf dem Attribut "alternativ" beruhenden Indie-Ansprüchen genügen, oder?
Die Anzeichen mehrten sich Ende 2007 mit der Veröffentlichung des dritten Albums "Because Of The Times". Die Platte schoss in England auf Platz eins der Charts. Und sie sorgte dafür, dass ein Konzert der Band in der Londoner O2-Arena in etwas weniger als einer Stunde ausverkauft war. Im September kam dann das Album "Only By The Night" - und die Ereignisse überschlugen sich: Die Singles "Sex On Fire" und "Use Somebody" dudelten im Radio-Airplay rauf und runter.
Zwei Shows in London und Manchester waren innerhalb von nur vier Minuten ausverkauft. 240 Sekunden, 85000 Tickets - das schaffen sonst nur U2 oder Metallica. Und zuletzt war auch Deutschland dran: Der Kartenvorverkauf für zwei Februar-Konzerte in Köln und Berlin startete - und war auch schon wieder beendet.
Wer noch einen letzten Beweis für den Status der Kings of Leon haben will: Oasis-Superstar Noel Gallagher nennt sie seine "neue verdammte Lieblingsband". Und wer Gallagher kennt, der weiß, dass ein solches Lob für eine Band, die nicht Oasis selbst ist, einem Ritterschlag gleichkommt.
Aber die Kings of Leon - diese Truppe um die Brüder Caleb, Jared und Nathan Followill sowie deren Cousin Matthew - ist anders als die anderen dem Mainstream anheim gefallenen Ex-Indie-Bands.
Keine "alternative" Musikgruppe hat es in den vergangenen Jahren geschafft, sich von Album zu Album derart konsequent weiterzuentwickeln, derart viele Phasen zu durchlaufen - und den Geist des Alternativen trotz massentauglicher Lieder in ihrer Musik zu bewahren.
Genau das macht sie zu einem echten Phänomen. Zwischen dem Debüt "Youth And Young Manhood" (2003) und dem aktuellen Album liegen Bluesrock und Hippie-Riffs in der Tradition von CCR und den Allman Brothers. Dann auf einmal sphärische Gitarrenlinien ("Aha Shake Heartbreak, 2004). Es folgte eine düstere Rockplatte ("Because Of The Times"), deren Faszination auf einer Melange aus wunderschönen Melodien sowie Texten über den Bodensatz der Gesellschaft und anspruchsvolle musikalische Versatzstücke beruht.
Und nun also Stadionrock mit flirrenden Gitarren. Die Kings of Leon waren für die Musikpresse die "Southern Strokes" und (aufgrund ihrer langen Haare) die "Ramones aus dem Heustadl" (Rolling Stone). Sie sind "Wandler auf den Spuren von U2" (ebenfalls Rolling Stone). Anders als die anderen jedoch kokettieren die Vier nicht mit ihrem Superstar-Status. Sie lassen keine Bombast-Shows erwarten. Und sie werden bald sicherlich ein experimentelles Album aufnehmen, an dem man seinen Sinn für Musik erst einmal abarbeiten muss, ehe es genießbar ist.
Eigentlich ist es ganz einfach: Killers, Coldplay und Co. haben die Indie-Attitüde aufgegeben und machen jetzt (durchaus gute) Musik nach dem Geschmack der Massen. Die Kings of Leon dagegen machen Musik für die Massen nach ihrem Geschmack. Ein kleiner Unterschied. Aber genau der macht die "Kings" zur derzeit erstaunlichsten Indie-Band überhaupt.