Kate Nash: Sie will doch nur spielen
In Großbritannien sorgt Kate Nash derzeit mit ihrem spleenigen Elektro-Folk für ausverkaufte Hallen. Dabei wollte sie doch nur eines werden: Schauspielerin.
Solche Eltern wünscht man sich. Für einen angeknacksten Mittelfußknochen gibt’s als Entschädigung ’ne E-Gitarre. Klingt übertrieben, im Falle von Kate Nash ging das Trostpflaster allerdings völlig in Ordnung. Denn kurz vor dem Treppensturz war noch einiges andere aus dem Ruder gelaufen. Vor allem, weil die 18-Jährige mit der Absage der Old Vic Theatre School in Bristol überhaupt nicht gerechnet hatte. Für Nash stand seit dem Besuch einer Förderschule für darstellende Kunst fest, dass sie Schauspielerin werden will. Dieser Traum war aber dahin, innerhalb weniger Sekunden, mit einem lapidaren Ablehnungsschreiben.
Da saß das Häufchen Elend auf seinem Krankenbett, rekonvaleszierte sittsam vor sich hin und schrieb aus purer Langeweile ein paar Songs. Ernst nahm sie das nicht. Und genau deswegen stellte sie das unfertige Geklampfe auch ins Netz auf ihre "MySpace"-Seite. Sollen die verlinkten Freunde doch ruhig mal hören, was man so fabriziert, wenn man sich nicht bewegen darf.
Allerdings wurden auch User auf ihre Musik aufmerksam, die bislang in keiner Verbindung zu ihr standen. Einer von ihnen war Popsirene Lily Allen, deren Weg zum Sangesstar sich damals gerade mit ihrer Single "Smile" andeutete. Allen gefiel Nashs ungekünstelter Stil, vor allem aber die Eigenart, keine Schrift-, sondern Umgangssprache über die tänzelnden Elektro-Beats zu brabbeln. So gut, dass sie einen Kontakt zu Manager Ollie Slanley herstellte.
Mittlerweile summt das ganze Königreich die perlenden Dreiminüter der feierfreudigen Londonerin. Eine neue Amy Winehouse und deren Alkoholeskapaden hat das Musikbusiness deswegen allerdings nicht zu fürchten. Nash weiß das Leben einfach nur zu genießen. Genau darin mag vielleicht auch das Geheimnis ihres Erfolges liegen. Genau wie ihre Mentorin Lily Allen erzählt Nash der größtenteils weiblichen, minderjährigen Hörerschicht von den Unwägbarkeiten des Erwachsenwerdens, vom Streit mit dem Freund ("Foundations") oder auch von den hohen Erwartungen der Mutter ("Mariella").
Die Plattenfirma Universal, die Nashs Album "Made Of Bricks" in Deutschland vertreibt, hat wohlweislich ein Zusatz-Booklet beigelegt, in dem sich die deutsche Version der Texte findet. Dann müssen hiesige Teenager nicht stundenlang grübeln, was denn wohl lustig klingende Worte wie "Dickhead" bedeuten mögen. So viel sei verraten: Die Übersetzung, die sich in besagtem Büchlein findet, ist nicht ganz korrekt - aber trotzdem nicht druckfähig. Zumindest nicht hier!
Miss Nash wegen ihrer sprachlichen Unverblümtheit mit nationalen Granaten wie LaFee oder Liza Li zu vergleichen, wäre aber zutiefst unfair. Denn anders als bei den beiden teutonischen Fäkalfrüchtchen ist der Straßensprech bei der Britin kein Selbstzweck. Im Gegenteil, er passt sich dem angenehm spleenigen Elektro-Folk, der sich auf "Made Of Bricks" findet, passgenau an: Man hört Breakbeats, runtergetrimmt auf 33 Umdrehungen, und darüber liegen nachhallende Klavierakkorde, leicht verstimmt, aber durchaus anmutend.
Nashs Stimme steht dem in nichts nach. Mit sanftem Bruch, als hätte sich ein Keks in ihren Rachen verirrt, sucht sie nach klanglichem Halt und findet ihn in ihrem südostenglischen Zungenschlag, mit dem sie gedankenverloren irgendwo zwischen Rap und Gesang pendelt, so als würden all ihre Gedanken ungefiltert aus ihr heraussprudeln. Ihr Verlag nennt das "authentisch", ihre Fans "cool". Wir bezeichnen es schlicht mit: "chic"!
Kurzkritik Wenn Frauen, noch dazu im lolita-fähigen Alter, irgendwas davon faseln, dass sie ja eigentlich nur spielen wollen, dann ist normalerweise Obacht geboten, vergleiche: Annett Louisan. Bei Kate Nash kann indes Entwarnung gegeben werden, und das, obwohl auch sie im etwas gezwungenen Opener "Play" kokett beteuert, dass sie nur spielen will. Sie hat schließlich recht. Sie spielt mit dem Hörer, verleitet ihn dazu, Dinge zu mögen, die er eigentlich abgrundtief verabscheut, beispielsweise diese verspielten (da haben wir’s wieder) Klavierakkorde, die wie Kirmesgebimmel klingen. Normalerweise ein Fall für die Pädophilenschublade. Bei Kate Nash der perfekte Hintergrund für ihre kleinen lakonischen Geschichtchen aus dem weitgehend sorgenfreien Leben einer Heranwachsenden. Einfach schön. Und so simpel. Kann sich ab jetzt nicht alles so anhören?
Highlights Auf "Pumpkin Soup" und "Skeleton Song" dürfen sich zum verstimmten Piano auch eine vereinsamte Geige und blecherne Bläser gesellen. Sauber!