Klavierfestival Ruhr: Auftakt mit einem Shootingstar
Der Pianist Nikolai Tokarew begeistert auf einem der weltweit größten Musikfeste mit Schubert und Liszt.
Essen. Das 20. Klavierfestival Ruhr, eines der größten Musikfeste der Welt, eröffnete kein etablierter Klavier-Titan, sondern ein Newcomer: der 24-jährige Russe Nikolai Tokarew, der an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule derzeit noch sein Konzertexamen ablegt.
Pianistisch macht Tokarew schon derart Furore, dass er beim großen Klassik-Label SonyBMG CDs aufnimmt und weltweit gefeiert wird - ein echter Shootingstar.
An Werken von Franz Schubert und Franz Liszt stellt Tokarew in der Essener Philharmonie nun eine enorme Anschlagskultur unter Beweis. In leisen "Moments musicaux" Schuberts verzaubert er mit zugleich weichem und gehaltvollem Pianissimo, feinste Klangsinnlichkeit entfaltet sich in der Liszt-Transkription der Schubert-Litanei "Allerseelen".
Doch wirkt das musikalische Konzept noch nicht ganz ausgegoren. Die Tempi der schnelleren Moments musicaux wirken übereilt und lassen tiefere Einsichten in den musikalischen Gehalt vermissen.
Gleichwohl spricht aus jedem Akkord, jeder Phrase enormes, entwicklungsfähiges Talent. Die Qualität lässt an einen großen, aber noch recht jungen Wein denken, der seinen Höhepunkt noch vor sich hat.
Tokarew spielt manches wunderbar packend, wie etwa Schuberts "Erlkönig" in der virtuosen Liszt-Bearbeitung. Die Dramatik wirkt so plastisch, die Atmosphäre so dicht, dass man meint, der Flügel würde Goethes gleichnamige Ballade rezitieren.
Seine stupende Spieltechnik kann Tokarew ganz besonders eindrucksvoll in der überaus anspruchsvollen und umfangreichen h-Moll-Sonate einsetzen. Rasend schnelle Oktavparallelen und komplizierte Akkordbrechungen scheint Tokarew buchstäblich aus dem Handgelenk zu schütteln.
Der junge Russe macht dabei einen leichten Buckel, formt seine Finger wie Krallen und vermittelt so ein wenig den Eindruck einer Raubkatze, die mit ihrem Opfer spielt. Für den begeisterten Beifall bedankte sich Tokarew mit zwei Zugaben: Ravels "Ondine" und Bach/Silotis Präludium h-Moll.
Das Klavierfestival Ruhr ist weltweit das größte seiner Art. Da es in diesem Jahr zum 20. Mal in Konzertsälen des Ruhrgebiets zwischen Dortmund und Düsseldorf Einzug hält, sind alle Pianisten von Rang dabei.
Zu den Höhepunkten zählen das Abschiedskonzert von Alfred Brendel (22.Juli, Philharmonie Essen), sowie die Auftritte der ebenfalls zur absoluten Weltspitze gehörenden Pianisten Krystian Zimerman (20. Juni) und Maurizio Pollini (23. Juni, beide im Duisburger City-Palais).