Rock: Liebe, Hoffnung – der Boss
Mit „Working on a dream“ veröffentlicht Springsteen sein 16. Album. Seine Musik ist wie ein alter Freund, den man nicht missen möchte.
Düsseldorf. Da reitet er dahin, der Outlaw Pete. Irgendwo in die Berge, das eigene Ende ahnend, seine räuberische Vergangenheit nicht abschütteln könnend: Mit einem Acht-Minuten-Kraftakt voller Tempowechsel begleitet Bruce Springsteen diesen Cowboy - ein furioser Auftakt für das 16. Album des Mannes, den seine Fans den Boss nennen.
Keine 18 Monate nach "Magic" ist er mit der E-Street-Band schon wieder da: Mit "Working on a dream" schüttelt der Arbeiter der Highways den Staub der Straße ab und nimmt die Aufbruchsstimmung auf, die mit der politischen Zeitenwende in den USA verbunden ist.
Springsteen entdeckt den Optimismus und liefert das Album zu Obamas Amtseinführung, ein Album über die Liebe, die Freundschaft und die Hoffnung.
Es wühlt nicht so auf wie "The Rising". Es hat nicht die Wucht und lyrische Dichte wie "Magic". Und doch ist das dritte E-Street-Album seit 2002 der gute, alte Freund, den man gerne hineinlässt, den man nicht vermissen möchte, den man immer als ersten anruft.
Turmhoch baut er Soundkulissen auf, arrangiert Orchester-Klänge rund um seine Rock’n’Roll-Kapelle: Mehr Pop als Breitwandrock - das macht "Working on a dream" aus, dessen Aufnahmen schon zum finalen Mixing von "Magic" (2007) begonnen wurden. "Ich habe einfach nicht aufgehört, Songs zu schreiben", erinnert sich Springsteen. Produzent Brendan O’Brian habe ihn ermuntert, weiter zu machen.
Und so tourte der Boss mit seiner Band und ging in Tourpausen mit ihr ins Studio. "Meistens verwendeten wir den ersten Take. Es war vom Anfang bis zum Ende ein Wahnsinnsspaß." Spielfreude und Zuversicht, die in den meisten der insgesamt 13 Lieder immer wieder hörbar ist.
"Outlaw Pete" ist ein prächtiger Einstieg - pompös produziert. Mal ist der Himmel voller Streicher, mal kauert eine Western-Mundharmonika hinter einem Busch, mal verfolgen die Gitarren atemlos den Gauner, der schon als Windelträger Banken ausraubte. Ab und an scheint Springsteen Kiss ("I was made for lovin’ you") zu zitieren. Witzig. Euphorisch, durch Drummer Max Weinberg angepeitscht, prescht "My lucky day" voraus - eine klassische E-Street-Nummer im Stil von "Lonesome day".
Der Titeltrack klingt wie die Fortsetzung von "Girls in their summer clothes": melancholisch, sentimental, entschleunigt. Bezeichnend, dass er "Working on a dream" im Wahlkampf für Obama uraufführte. Schwielen in den Händen, die Hoffnung im Herzen: Springsteen nimmt man dieses Vokabular bei allem Pathos ab. Musikalisch hat er in den vergangenen 35 Jahren am "amerikanischen Haus der Träume" gebaut. Jetzt richtet er das Haus ein.
Nonsens, Kitsch? Auf jeden Fall lässt er für die "Queen of the supermarket" Jubelchöre los - der Legende nach das Ergebnis eines Besuchs in einem neuen Einkaufscenter in New Jersey: wem die Kassiererin gefällt... Herrlich lässig-trippelnd: "Tomorrow never knows", ein kleines Country-Liedchen, das Springsteen im Stile Dylans singt und betont.
Eher belanglos ist da Salbungsvolles wie "Kingdom of days" oder "This life" - Songs, die Springsteen alle schon einmal besser geschrieben hat. "Surprise, Surprise" wird auch beim wiederholten Hören nicht wirklich gut.
Versöhnlich das Finale: Das ruhige, spröde "The last carnival" ist einfach herzzreißend. Der Boss beklagt den Tod von Dan "Phantom" Federici. Das E-Street-Band-Gründungsmitglied starb im vergangenen Frühjahr, hat am neuen Album aber noch mitgewirkt. Sein Sohn Jason steuert hier die Akkordeon-Klänge bei: "We’ll be riding the train without you tonight". Das ganze Album ist Federici gewidmet - mehr als ein Freundschaftsdienst.
Großartig der Schlusspunkt: In sich gekehrt, ganz der stille Betrachter und Erzähler, raunt er "The Wrestler", frisch mit Golden Globe als bester Soundtrack-Song gekürt. Am 1. Februar erlebt der 59-Jährige noch eine Premiere: Er rockt in der Halbzeit des Superbowls. An den Fernsehern der Welt werden voraussichtlich rund 150 Millionen Menschen den Zwölf-Minuten-Auftritt verfolgen. Beste Werbung für einen Mann, der bis heute etwa 120 Millionen Tonträger verkauft hat.