The Streets: Mike Skinner - Ein Taugenichts als Pop-Poet

Mike Skinner alias The Streets hat den Briten den Rap gegeben. Jetzt hat sich der Soundforscher und Geschichtenerzähler wieder einmal neu erfunden.

Düsseldorf. Diese Geschichte beginnt mit dem Ende. Mike Skinner alias The Streets macht Schluss. Mit "Everything Is Borrowed" hat er sein viertes Album veröffentlicht und angekündigt, dass nur noch ein weiteres folgen soll.

"Ich will die Aufregung zurück, die die Leute am Anfang für mich empfanden", sagt der blasse Brite, der mit Trainingsjacke, Ohrstecker, Augenringen und kurzgeschorenen Haaren aussähe wie ein Hooligan, wenn ihn sein Bambi-Blick nicht verriete.

Er habe einen gewissen Stil entwickelt, sagt er, sodass seine Fähigkeit zu schocken nachlasse - zumindest solange er The Streets sei. "Let’s Push Things Forward" heißt ein frühes Stück und dieser Maxime ist er jetzt in letzter Konsequenz treu geblieben: Bitte alles, nur keine Wiederholungen.

Ein versessener Sound-Forscher ist Skinner immer gewesen. Mit fünf Jahren bekam er von seinen Eltern das erste Keyboard. Kurz nachdem er mit ihnen aus London in eine Birminghamer Vorstadtsiedlung gezogen war. "Kein reiches oder armes Leben, irgendwas Langweiliges dazwischen."

Da er sich wegen epileptischer Anfälle von Computerspielen fernhalten musste, habe er sich auf Musik konzentriert. Ende der 90er nahm er noch bei den Eltern wohnend sein erstes Album auf - aus klanglichen Gründen oft im Badezimmer, eine Bettdecke über dem Kopf. Das Ergebnis sorgte für ein mittleres Beben in der Musiklandschaft.

Nicht nur hatte Skinner den Briten den Rap gegeben, sondern auf seinem Laptop Hip-Hop, Dub und Two Step zu einem völlig neuen Stil gemischt: Nervöse Breakbeats und wummernde Bässe unterlaufen seelenruhige Melodien, die mal aus trödelnden Klavierpassagen, mal aus heiseren Trompetensätzen bestehen.

Dazu kommt Skinners Rap, der nicht wie im US-Hip-Hop direkt auf dem Rhythmus liegt, um Wort und Beat zu verschmelzen. Im rotzigen Cockney-Slang plaudert er vielmehr wie beiläufig um den Rhythmus herum und hebt das Gesagte gerade auf diese Weise heraus.

Dabei hatte Skinner mit 15 zunächst eine Art britischen Wu-Tang-Clan gegründet. Nach einer Ausbildung zum Toningenieur, versuchte er ein Label aufzubauen - was er übrigens mit einem Job bei Burger King finanzierte. Doch je öfter er anderen zusah, wie sie die Breitbeinigkeit des amerikanischen Hip-Hop imitierten, desto klarer wurde ihm: "Du musst du selbst sein, wenn du werden willst, wie die, die du bewunderst."

So rappte Skinner schließlich vom eigenen Leben - vom Kiffen und Abhängen, von durchgefeierten Nächten und Kentucky Fried Chicken. Gestochen scharf beschreibt der Pop-Poet das Leben des jugendlichen Mittelklasse-Taugenichts und umreißt damit das Lebensgefühl vieler in seiner Generation. "Original Pirate Material" erreicht 2002 Platz zehn in den britischen Charts. Skinner wird quasi über Nacht zum Star.

Und jetzt? Wie gesagt, bloß keine Wiederholungen. Skinner zieht nach London und biegt nach zwei Jahren mit dem Konzeptalbum "A Grand Don’t Come for Free" um die Ecke. Song für Song entwickelt er die Odyssee eines Typen, der versucht, einen verlegten 1000-Pfund-Schein zu finden. Heraus kommt eine Art Hip-Hop-Oper, die von Extacy-Trips und kaputten Beziehungen handelt. "Ich hätte im Bett bleiben sollen, da weiß ich wenigstens, wie das geht", eröffnet Skinner das Geschehen.

Das Album landet auf Platz eins der UK-Charts und Skinner noch mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sein Privatleben wird fester Bestandteil des Boulevards. Skinners Antwort: Das dritte Album, "The Hardest Way to Make an Easy Living" - Psychogramm eines Popstars am Rande des Abgrunds. Skinner rappt von seiner Sucht nach Kokain und Sportwetten und der Kunst, ein Hotelzimmer auseinander zu nehmen. "Wenn du die Dinge offen legst, kann die Presse dich nur wiederholen."

Heute wirkt es, als ob sich Skinner selbst therapiert hätte. Er geht nüchtern auf die Bühne, joggt und hat mit "Everything Is Borrowed" ein geradezu fröhliches Album vorgelegt.

In zwei Jahren soll sein letztes folgen. Nach Syntheziser soll es klingen und von der Zukunft handeln. Und was macht Mike Skinner dann? Einen Film wolle er drehen, aber auch wieder Musik machen.

Wie sollte es anders sein, bei einem Klangfetischisten, der zwanghaft Mikrofone sammelt (einer Radiomoderatorin sogar mal eins geklaut hat) und seine Zeit am liebsten in seinem Studio verbringt. Ein Techno- oder Country-Album könnte es werden, spekuliert Skinner nur halb im Scherz. "Jedenfalls etwas, was ich noch nie gemacht habe." So endet diese Geschichte mit einem Neuanfang. Let’s push things forward!

Am Anfang ist eine Kirchenorgel, und Rapper Mike Skinner singt (!) davon, dass alles nur geliehen ist und am Ende nichts bleibt außer Liebe. Oh Gott! The Streets sind religiös geworden, fürchtet man besorgt.

Aber nicht doch. Skinner wagt es lediglich, einmal nicht als Phänomenologe des Alltags aufzutreten, sondern Geschichten über die großen Themen des Lebens zu erzählen. Und eine Absage an den Materialismus ist angesichts der Finanzkrise nicht die übelste Idee und gegen Liebe ist sicher auch nichts zu sagen. Und das beste ist, Skinner wird nicht kitschig.

Im Gegenteil, sein trockener Humor hat nicht gelitten. So heißt es in einem Gospel-Chor: "In den Himmel will ich wegen des Wetters, in die Hölle wegen der Gesellschaft." Musikalisch hat er wieder viel experimentiert, beispielsweise mit dem Sound eines Feuerlöschers, aber er hat auch ein klassisches Orchester aufgenommen.

Die Beats rumpeln dazu weniger hektisch, so dass das Album insgesamt ruhiger atmet. Das ist zwar nicht so explosiv wie sein Debüt "Original Pirate Material". Aber Skinner ist ein wunderbar warmes Album gelungen und wieder einmal außerordentlicher Hip-Hop.