Was wurde aus den Boygroups der 90er Jahre?
München (dpa) - Die einen nennen es ein dunkles Kapitel der Musikgeschichte, für die anderen war es die Zeit ihres Lebens: In den 90er Jahren brachen synchron tanzende Jünglinge mit glatt rasierter, eingeölter Brust über den deutschen Musikmarkt herein und versetzten zwölfjährige Mädchen von Flensburg bis Rosenheim in Ekstase.
Während die ganz Großen wie Take That, die Backstreet Boys und ab und an auch New Kids On The Block heute noch Konzerthallen mit in Nostalgie schwelgenden Frauen mittleren Alters füllen, sind viele der Stars von damals heute aber in der Versenkung verschwunden.
Bed & Breakfast, Worlds Apart, East 17, N'Sync, Touché - nur die Älteren erinnern sich. Heute kreischen die Teenies bei One Direction. Und aus den tanzenden Jungs von damals sind heute Männer geworden, von denen nicht alle glücklich an die Zeit als Teenie-Schwarm denken.
Die Band Bed & Breakfast („Stay Together“) verkaufte einst Hunderttausende Platten, hat aber heute keine 500 Likes bei Facebook. Und von den Mitgliedern Florian Walberg, David Jost und Kofi Ansuhenne ist heute nur noch Daniel Aminati bekannt, weil der bei ProSieben „Galileo“ moderiert und „Taff“ und beim „Promi-Boxen“ einmal gegen Nico Schwanz gewann.
Ansuhenne schrieb in der Rubrik „Einestages“ für „Spiegel Online“: „Es war anstrengend, aber aufregend. Später sagte man uns nach, die erste erfolgreiche Boyband aus Deutschland gewesen zu sein. Zahlen und Superlative interessierten uns nicht wirklich, wir wollten Spaß haben - und den hatten wir. Satt!“
Spaß gab es zwar auch bei Caught In The Act, jener niederländisch-britischen Band, die mit Liedern wie „Love Is Everywhere“ Erfolg hatte und vor allem von Teenager-Jungs gerne als „Erwischt beim Akt“ verspottet wurde.
Doch das ist nicht das Einzige, woran Sänger Lee Baxter sich erinnert, wenn er an die Zeit zurückdenkt. „Wir standen immer unter dem Druck, für jeden einzelnen Song zu konkurrieren“, sagt er im Interview der Nachrichtenagentur dpa.
Doch das war nicht das einzige Problem. „Es ist mir schwergefallen, mich an die Situation zu gewöhnen, obwohl ich nach Erfolg strebte. Als es dann wirklich passierte, war es, als habe mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Von einem Konzert zum nächsten, ständig unter Beobachtung.
Die Moderatorin Aleksandra Bechtel war damals mit Baxters Bandkollegen Benjamin Boyce zusammen. „Es war furchtbar, mit einem Mädchenschwarm liiert zu sein“, sagt sie in der Vox-Dokumentation „Das Phänomen Boygroups“, die am 26. Juli ausgestrahlt werden soll. „Ich habe Morddrohungen erhalten. Fans haben meine Autogrammkarten an Viva geschickt, mir mit Zigaretten die Augen ausgebrannt und geschrieben: "Du Schlampe, wir hängen dich am nächsten Baum auf!".“
Wohl auch aus diesem Grund versteckten die Backstreet Boys ihre Freundinnen damals. Heute stehen sie zwar immer noch auf der Bühne - aber zu eigenen Konditionen.
„Natürlich durften wir anfangs unsere Freundinnen nicht zeigen, aber irgendwann haben wir sie nicht mehr versteckt“, sagt der heute frisch verheiratete Nick Carter, der im vergangenen Jahr seine Biografie veröffentlichte, in der er von Depressionen, Drogen und Alkoholsucht schreibt, in der Vox-Dokumentation.
Sein Bandkollege A.J. McLean erinnert sich: „Jack Daniel's und Kokain und all diese Sachen wurden meine besten Freunde.“ Und Kevin Richardson sagt: „Es gibt einen Punkt, an dem du merkst: Wir müssen eine Pause machen oder ich werde verrückt.“
Diese Pause hat auch Lee Baxter sich genommen. Nach dem Ende der Band zog er sich zurück, wollte sogar den Namen, der ihn berühmt machte, nicht mehr benutzen. Inzwischen aber kann er einen versöhnlichen Blick auf die Zeit damals richten - und auch wieder unbeschwert Musik machen, meistens in Hamburg, wo er auch schon im Englischen Theater auf der Bühne stand.
In den kommenden Tagen bringt er eine neue Single und ein Video heraus, das bislang unveröffentlichtes Caught in The Act-Material zeigt. Baxter hatte es noch auf seiner alten Privatkamera. „Der Song handelt von Caught in the Act“, sagt Baxter. Der Titel des Liedes lautet „For What It's Worth“ und heißt übersetzt: „Wofür auch immer es gut sein mag.“ Das Thema: „Vergeben und vergessen.“
Nick Carter: „Facing the Music - And Living to Talk About It“, Bird Street Books, 2013, ISBN 978-1-939457-88-2, Euro 16,95