André Kaczmarczyk brilliert in Düsseldorf in der Shakespeare-Tragödie „Richard III.“ Allein im Führerbunker
DÜSSELDORF · Allein, verlassen hockt er vor einer Riesenwand von flackernden Bildschirmen. Denn die kleinste Bewegung in seinem Palast kontrolliert der blutrünstige, mordende König per Überwachungskameras und jagt die vielen verwandten Witwen fort mit blecherner Lautsprecher-Ansage.
Wie in einem Hochsicherheitstrakt. „Keiner liebt mich“, jault „Richard III.“, mit verbogenem Rücken und entstelltem Gesicht die Verkörperung des Bösen und Schrecklichen, des Hasses und Hässlichen.
Mit dem gleichnamigen Königsdrama setzt das Düsseldorfer Schauspielhaus seine Shakespeare-Trilogie über gewalttätige Herrscher und mordende Diktatoren fort. Nach „Macbeth“ (2021) nun das Drama über den Beinahe-Herzog von Gloucester, den letzten englischen Herrscher aus dem Hause Plantagenet. Erneut in der zupackenden, hoch emotionalen Regie des Theater- und Opernmachers Evgeny Titov: Die unübersichtliche Zahl von Figuren reduziert der gebürtige Russe, der seit vielen Jahren im Westen lebt, auf Richard und sechs Frauen.
Das Regieteam kürzt den Text zudem um zwei Drittel und knapp zwei Stunden. Kantig und pathetisch zeigt Titov uns hier einen großartigen Shakespeare-Quasimodo: Er schlägt dabei den Bogen zu Diktatoren unserer Zeit und entfesselt expressive, manchmal überspitzte Bilder. Zudem steigert er die Spannung durch opernhafte Momente und großes Kino.
Titov und Ausstatter Etienne Pluss bringen wieder eine gewaltige, aus den Fugen wuchernde Betonarchitektur auf die Bühne. Wie beim mit Blut und Dreck verschmierten Königsmörder „Macbeth“ treibt der jugendliche, verkrüppelte Richard – in düsterer Wolle, später in güldenem Geglitzer – sein monströses Wesen in einem Palast mit abweisenden Wänden in Beton-Grau. In einer Mischung aus Hochsicherheits-Gefängnis und Führerbunker, in dem der grausame Richard an seinem unvermeidlichen Untergang arbeitet.
Zunächst versammeln sich im finsteren Gemäuer trauernde Witwen in pechschwarzen Gewändern vor gestapelten schwarzen Särgen. Selbst noch Im Finale steuert der vereinsamte Richard die Kontroll-Monitore. „Ich hab mich lieb“, murmelt er, als sein Lebenslicht verlöscht. Fast hat man Mitleid mit dem lieblosen, eiskalten Mann, der hier als Opfer der starken Witwen dargestellt wird.
In der Titelrolle schockiert erneut André Kaczmarczyk durch seine extreme Wandlungs- und Bewegungs-Fähigkeit. Beharrlich und unermüdlich balanciert er auf absatzlosen, klobigen Pony-High-Heels, rennt und stürzt, krümmt, wälzt und verbiegt sich – plustert sich als unberechenbarer Gewalt-Prinz auf, lauert hinterhältig und schmeichelt unvermittelt. Er biedert sich schlängelnd mit verführerisch sonorer Stimme bei Mädchen und Frauen an, die er eigenhändig, durch Mord und Totschlag, zu Witwen gemacht hat. Weil er kaltblütig wie eine Python-Schlange im letzten der historisch verbrieften „Rosenkriege“ (zwischen den Plantagenet-Linien York und Lancaster) alles beiseite räumt. Richard tötet keine Frauen, aber alle Männer und Jungen, die ihm auf seinem Weg zur Macht im Wege stehen oder allein durch Geburt gefährlich werden könnten. Als Kontroll-Psychopath überlässt er nichts dem Zufall.
So verführt er Lady Anne (Claudia Hübbecker), die er durch züngelnde Beschwörungen erweichen will. Sie willigt, anfangs aus Todesangst, in die Ehe mit ihm ein. Sie erliegt dann aber dem Werben des abstoßenden Mannes und gesteht: „Abscheulich ist schön“. Anders die eigene Mutter, die Königin-Großmutter (Manuela Alphons): Mit gebrochener Stimme verflucht sie ihren „Jüngsten“, Richard, als Mörder ihrer anderen Söhne, und rammt ihm aus lauter Verzweiflung ein Messer in den Rücken. Eine Attacke voller Symbolik, mit der Evgeny Titov sich vom Original-Shakespeare entfernt. Seine Botschaft könnte sein: Mörderische Kriege gehen von Männern aus und sind meist nur von beherzten Frauen zu beenden.
Fazit: Ein fesselnder Theaterabend von knapp zwei Stunden über einen vereinsamten, gewalttätigen und mörderischen Diktator. Ovationen für Regie, Kaczmarczyk und Darstellerinnen.