Kunstsammlung NRW Ein Künstler, am Rande der Gesellschaft
DÜSSELDORF · Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zeigt Gemälde von Chaim Soutine.
Pagen, Köche, Frauen von anrüchigem Ruf, Messdiener und verschüchterte Chorknaben. Ihre Gesichter sind häufig zerklüftet, manche Gesichtshälften klappen beinah auseinander, die Körper stehen selten senkrecht, sondern wanken, suchen nach Balance. Geschunden und leidend schauen viele den Betrachter an. Es sind Figuren in prekärer Lebenslage, die Chaim Soutine (1893-1943) in kräftigen Ölfarben auf Leinwand bannte.
In Minsk als zehntes von elf Kindern einer jüdischen Familie geboren, hatte er anfangs keinen Zugang zur bürgerlichen Kultur und ihren Bildungseinrichtungen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg emigrierte er 1913 nach Frankreich und, nach einer kurzen steilen Erfolgsserie, starb er mit knapp 50 an einem Magengeschwür in einem Pariser Hospital. Während die Nazis Frankreich noch besetzt hielten. „Soutine lebte fast sein ganzes Leben lang am Rande der Gesellschaft, so wie die meisten der von ihm porträtierten Männer und Frauen“. So Susanne Meyer-Büser, die die Groß-Ausstellung „Chaim Soutine. Gegen den Strom“ in der Kunstsammlung NRW (K20) kuratiert.
In Deutschland ist der Maler
erst wenig bekannt
Im 130. Geburtsjahr und zum 80. Todesjahr wird mit 60 Exponaten erstmals dem russisch-französischen Maler eine Schau in einem deutschen Groß-Museum gewidmet. In Frankreich und den USA gilt er längst als eine der zentralen Repräsentanten der Klassischen Moderne. Denn bereits 1922 entdeckte der amerikanische Millionär, Kunstkenner und Sammler Albert C. Barnes Soutines Porträt „Le Patissier“ (Der Konditor). Und erwarb auf einen Schlag 30 seiner Gemälde, die bis heute den Grundstock der berühmten „Barnes Collection (Foundation)“ in Philadelphia bilden. Exponate, die nicht ausgeliehen werden dürfen, bedauert die Kuratorin. Trotzdem thronen drei Patissiers und weitere Meisterwerke von Soutine von anderen Leihgebern aus Paris, New York und anderen Kunststädten) in der K20-Schau.
In Deutschland indes ist Chaime Soutines Kunst nur wenigen Experten bekannt. Es gilt also, einen Maler mit jüdischen Wurzeln zu entdecken, der Flucht, Vertreibung, Ausgrenzung und Verfolgung am eigenen Leib erlebt und auf Bildern verarbeitet hat. Mit dickaufgetragenen Farbschichten, die an Reliefs erinnern, und häufig mit zerbeulten Körpern.
Expressiv arbeitete er als Mitglied der „Ecole de Paris“ im Exil (zunächst nahe Paris), wurde gefördert von seinem engen Freund, dem italienischen Zeichner Amedeo Modigliani. In der Szene genoss er den Ruf eines ausdruckstarken Außenseiters. Denn in einer Zeit, als Picasso und Braque in der damaligen Kunstmetropole den Kubismus entwickelten und abstrakte Kunst auf den Markt brachten. Soutine konnte nur wenig anfangen mit den kühlen, abstrakten Formen, passte sich dem Trend nicht an, malte weiter figürlich, extrem emotional, mit starkem Duktus. Und schwamm beharrlich ‚gegen den Strom‘.
In den Werken spiegelt sich die traumatisierte Gesellschaft
Nicht nur auf den Stillleben, wie dem „Blumenstrauß“ von 1916, der noch leicht von impressionistischem Einfluss geprägt scheint. Gegen den Strom waren ebenso seine Straßen- und extrem windschiefen Städtebilder nach dem Ersten Weltkrieg: Man meint, die Stadtansichten kippen förmlich aus dem Rahmen. Unverkennbar ist hier expressionistische Kompositions-Technik. In diesen Werken spiegelt sich eine Gesellschaft, die durch das Grauen der Kriegserlebnisse schockiert und traumatisiert war.
Auf magere Mahlzeiten dieser Not-Jahre weisen zum Beispiel drei „Heringe“ auf einem verlorenen Teller. Er malte diese Motive direkt vor dem Modell. Nur so gelang ihm wohl der massive und massige Farbauftrag. Besonders eindrucksvoll, beinah bedrückend gelangen ihm die frisch geschlachteten, an zwei Beinen aufgehängten Rinder (oder einen frisch gehäuteten Ochsen), die zuvor in sein Atelier transportiert worden waren. Aufgeschlitzt, blutbeschmiert und mit hervorquellenden Eingeweiden. Oder geschlachtete Hühner, Fasane und Truthähne, die er sich vor seiner Leinwand am Hals aufhängen ließ. Und mit wilden Pinselstrichen plastisch auf die Leinwand spachtelte.
Hilflos, einsam verachtet wirken die Messdiener auf seinen Porträts: Viele, so scheint es, werden nur durch ihre Gewänder oder Uniformen zusammengehalten. Die Gesichtszüge und meist kolbigen Hände verschwimmen. Ein Zeichen des Wohlstands des Künstlers: Nach dem ‚Groß-Ankauf‘ des Amerikaners Barnes besuchte er häufig feine Hotels. Hier faszinierten ihn besonders Köche und die Pagen in glutroten Uniformen. Mal aufrecht, dann mit gebogenen Beinen. Sie sind, wie Soutine selbst, zwar mitten in der besseren Gesellschaft, gehören aber nicht dazu.