Seit knapp 100 Jahren: Erste Ausstellung von Maurice de Vlaminck im Wuppertaler Von der Heydt Museum Selbstbewusster Rebell der Moderne

WUPPERTAL · Er quetscht Farbe aus der Tube direkt auf die Leinwand. Häufig in kräftigem Rot, Blau, Weiß, Grün, Braun oder Orange. Ohne raffinierte Techniken, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Pariser Akademien gelehrt wurde, ging er ans Werk.

Anna Strom (stellvertretende Museumsdirektorin und Kuratorin) und Museumsdirektor Roland Mönig vor einem Stillleben Vlamincks, welches 1911 auf dem Pariser Herbstsalon von August Freiherr von der Heydt erworben wurde und seitdem in Wuppertaler Besitz ist.

Foto: Kevin Bertelt

Einfach aus dem Instinkt heraus malte er immer wieder die Seine, ihre Brücken, Segelboote, Natur-Landschaften und Häusergruppen. „Ich war ein ungestümer Barbar“, sagt später Maurice de Vlaminck (1876-1958) über seine un-akademische Art zu malen, die von Zeitgenossen als wild (fauve) bezeichnet wurde. Und damit den Fauvismus begründete.

De Vlaminck – ein „Rebell der Moderne“. Unter diesem Titel zeigt jetzt das Wuppertaler Von der Heydt Museum 50 seiner Werke aus 55 Schaffensjahren. Und konfrontiert sie in fünf Sälen – bis 18. Mai - mit Werken seines engen Künstlerfreundes André Derain und mit Vorbildern wie Matisse, Picasso oder Cézanne.

Der außergewöhnliche Wuppertal-Bezug: bereits 1911 erwarb August von der Heydt auf dem einst legendären ‚Salon d’Automne‘ (in Paris) Vlamincks bläuliches Stillleben mit Äpfeln, Zitrusfrüchten und Trauben, das den 214 Seiten dicken Ausstellungs-Katalog ziert. Denn seit über 114 Jahren gehört es zur ständigen Sammlung des Museums in Wuppertal. Wie auch manch‘ andere Exponate der Schau. Cézanne, Picasso, Derain, Van Gogh.

Man glaubt es kaum: Dies ist die erste Vlaminck-Ausstellung in Deutschland seit langer Zeit. Zuletzt lockten seine ungestümen Natur-Studien in teilweise strahlenden Farben 1929 in die Düsseldorfer Galerie Flechtheim.

Ermöglicht wurde dieses Kunst-Ereignis mit Leihgaben aus namhaften Kunsttempeln (weltweit) und Privatsammlungen durch Sponsoren und Kooperation mit dem Potsdamer Museum Barberini. Doch anders als in Potsdam legt hier Kuratorin Anna Storm Wert auf Vergleiche Vlamincks mit anderen Bildern (zum Teil auch aus der renommierten hauseigenen Sammlung).

Fauvisten – das war eine lockere Gruppe, die sich in kein akademisches Korsett zwängen ließ. Maler, die anfangs wild und spontan zupackten. Was ist Fauvismus, der von 1900 bis maximal 1910 dauerte? Vlamincks lapidare Antwort: „ICH bin Fauvist!“ Oder „ICH bin der Wildeste.“ Das ausgeprägte Selbstbewusstsein des Autodidakten, der betonte, nicht akademisch malen zu wollen und von Vincent van Goghs Malerei fasziniert war, basiert auf einer untypischen Künstler-Biografie. Schon als junger Mann verfügte er über eine kräftige Köperstatur, verdiente Geld als Boxer, Radfahrer und Mechaniker. Zudem verdingte er sich als Sohn einer Klavierlehrerin als Musiker (mit der Geige) und schrieb sogar Romane.

Erst 1900 begann er plötzlich zu malen. Optimistisch mit strahlenden Idyllen, kraftbetont im Farbauftrag, direkt und meist ohne Perspektiven-Wechsel. Diese frühen Werke – vermutlich heute seine gefragtesten und teuersten auf dem Kunstmarkt– beweisen Vlamincks Naturtalent. Entdeckt vom Pariser Galeristen und Picasso-Verleger Ambroise Vollard, der auf einen Schlag Vlamincks Atelier leer kaufte und ihn unter Vertrag nahm. „Von da an hatte er keine Geldsorgen mehr, konnte von seiner Malerei leben“ schmunzelt Anna Storm.

Beschäftigung mit
kubistischen Formen

Dabei war er ein Lebemann, häufig in elegantem Dandy-Outfit, hatte aus zwei Ehen mehrere Töchter. War aber eng befreundet mit Derain, teilte mit ihm sogar ein Atelier in seinem Wohnort Chatou. Dort standen Staffelei neben Staffelei. Und – atypisch für konkurrierende Künstler: sie malten ähnliche Motive. Zu sehen an zwei Exponaten: ähnlich sind Landschafts-Motive, Pinselstriche und dunkle Farben. Erst im Laufe des Ersten Weltkriegs entfernten sich die beiden, da Derain als Soldat in den Krieg zog.

Heiter und hell sind die Farben am meisten in seinen Gemälden, die er bis 1910 fertigstellt. Danach wurde es dunkler, der Fauvismus flaute ab, macht dem Kubismus Platz – hier erläutert an einer Gegenüberstellung mit einem Stillleben mit typischen Zacken und Ecken von Picasso und einem Pendant von Vlaminck: Obst und viereckige, gebogene Schale zeigen, wie intensiv Letzterer sich mit kubistischen Formen beschäftigte.

Das einzig bekannte Bild mit einer Frauengestalt entstand 1910. Es zeigt eine maskenhafte Gestalt, vermutlich in Drogenrausch. „Opium“ steht oben am Bildrand. Warum Masken? Ähnlich wie Picasso kannte und kaufte auch Vlaminck alte afrikanische Kunst. Eine Leidenschaft, die nicht nur bei Künstlern während der hohen Phase des Kolonialismus verbreitet war.

In weiteren Abteilungen erhellt die Schau, wie Maurice de Vlaminck in den 1920/30er Jahren künstlerisch von neuen Tendenzen beeinflusst wurde und sich weiterentwickelte, dann unter den Nazis als entartet abgestempelt und aus deutschen Sammlungen entfernt wurde. Doch als schillernde Figur gibt der ältere Vlaminck mit Mitte 60 bis heute Rätsel auf. Obwohl seine Kunst verfemt war, pflegte er während der deutschen Frankreich-Besetzung (1940-1944) enge Kontakte zu Nazi-Größen und ließ sich 1941 für eine braune Propaganda-Reise vor den Karren spannen. Und äußerte sich positiv über Kunst und Leben in NS-Deutschland. Zudem war er befreundet mit des Führers Lieblings-Bildhauer Arno Breker, ließ sich von ihm gar porträtieren. Die Büste gilt zwar als verschollen, ist aber abgebildet in einer Extra-Dokumentation – eingerichtet am Anfang der Schau.

Breker, gebürtiger Wuppertaler aus einer traditionsreichen Steinbildhauer-Familie, sieht man auf dem Foto mit einer Reihe von Büsten. Neben der zart filigranen Jean Cocteau-Plastik steht die Büste des kraftvoll imposanten Vlaminck. Die Frage, ob er plötzlich zum begeisterten Nazi wurde oder nur, um zu überleben, mit den Wölfen geheult hat, lässt sich nicht beantworten.

Ebenso unerklärlich ist sein düsteres, naturalistisches Spätwerk. Dunkle, manchmal schwarze Wolken über heimelnden Dorf-Idyllen, Stroh-Ballen mal satt gelb, dann in Dunkelgrau getaucht. Starke Kontraste in überquellenden Ölfarben in eisigen Winterlandschaften. Oder ein theatralisch aufgeladenes Bild von 1945 mit feuerroten Flammen: Vermutlich hat eine Bombe hier gerade ein Dorf zerstört. Erklärung könnte sein: Erfahrungen aus zwei Weltkriegen sind auch an Vlaminck nicht spurlos vorüber gegangen.