Die ausverkaufte Düsseldorfer Tonhalle feiert den Starpianisten nach furiosem Spiel Igor Levit und die drei großen B
DÜSSELDORF · Es war ein musikalischer Knüller, vielleicht das Konzert der Tonhallen-Saison: Igor Levit kredenzte am Steinway-Flügel die drei großen B der Musik – Bach, Beethoven und Brahms. Sie zählen vermutlich zu den Hausgöttern des weltweit gefeierten Pianisten, der vor über zehn Jahren in Düsseldorf die Beethoven-Sonaten eingespielt hatte und eine Saison lang als Tonhallen-„Artist in Residence“ regelmäßig zu erleben war.
Doch jetzt bot Igor Levit etwas Außergewöhnliches: Beethovens komplette Siebte Sinfonie in der Klavier-Bearbeitung von Franz Liszt. Ein ganzes Orchester auf 88 Tasten reduziert und von zwei Händen bewältigt. Als unspielbar galt bei Liszts Zeitgenossen diese Fassung, in der mit massiven Akkordketten ebenso wenig gespart wird wie mit lyrischer Zartheit. Hochspannung pur – 40 pausenlose Minuten lang, eine herausfordernde Gipfel-Besteigung, vor der sich die meisten Star-Pianisten drücken. Aber nicht der 37-jährige Deutsch-Russe.
Nach Levits wuchtig donnerndem Schluss-Akkord springen fast 2000 Zuschauer auf, entladen sich Spannung und Begeisterung in Jubel und Ovationen. Einige Minuten lang. Viele junge Gesichter sind unter seinen Fans und Freunde von Pop- und Rockmusik, die Igor Levit auch durch seinen Klavier-Podcast kennen. Oder als manchmal unbequemen Gast in TV-Talkshows. Levit lockt nicht nur Klassik-Fans rund um den Globus in die Konzertsäle.
Kurze Verschnaufpausen gönnt sich Igor Levit höchstens zwischen den vier Sätzen. Mit Liszts Partitur unterm Arm marschiert er zum Flügel. Nicht etwa in Frack oder Smoking, sondern entspannt, fast privat in weißgepunkteter, offener Designer-Wolljacke stellt er demonstrativ ein dickes Buch aufs Notenpult.
Erstaunlich, wie er gleich im ersten Satz die bekannten Melodien aus der A-Dur-Sinfonie herausleuchtet. So behutsam schön oder zupackend kraftvoll spielt, dass man sie am liebsten mitsummen möchte. Einem breiten Publikum die Fülle an musikalischen Ideen in einer großen Sinfonie zu vermitteln – genau das, was Levit heute leistet, war schon vor 200 Jahren der Grund, warum der damalige Starpianist Franz Liszt diese Klavier-Transkriptionen von Orchesterwerken verfasste.
In allen Sätzen sprudeln die Melodien heraus. Dabei fasziniert Igor Levit durch genaues, häufig brillantes Spiel und durch differenzierten Anschlag: Je nach Stimmung streichelt er die Tasten oder packt mit dosierter Kraft zu. Doch selbst Fortissimo-Donner klirrt unter seinen Händen nicht, sondern klingt satt und rund. Ein saalfüllendes Volumen entsteht, bei dem man keine Sekunde ein Orchester vermisst, vom berühmten Trauermarsch im Allegretto bis zum wuchtig ausholenden Allegro con brio. In nahezu irrwitzigem Tempo entfacht Igor der Virtuose mit massiven Akkordketten beim Zuhörer Jubel und Feuer, das er erst bei der Zugabe aus Schumanns „Kinderszenen“ zu löschen vermag.
Sich warm gespielt hatte Levit zuvor mit Bachs Chromatischer D-Moll-Fantasie und Fuge: Levit deutet Bach hier wie prachtvollen italienischen Barock. Er fegt durch die Noten, elegant und in perlender, höfischer Leichtigkeit, die eher an einen strahlenden Scarlatti denn an deutsche Tonkünstler erinnert. Ganz persönlich, im Stil innerlicher Romantik eines Brahms setzt sich Levit mit dessen Balladen (opus 10) auseinander. In den beiden Andante-Sätzen betont der sensible Künstler die Zartheit der Musik.
Zerbrechlich und verletzbar wirken unter seinen Händen die lyrischen Passagen. Kurzes Aufflackern in Stakkato-Donner, dann behutsamer ausgehauchter Abschied. Insgesamt gelingt Igor Levit hier ein Spagat zwischen Intimität und nüchterner Sachlichkeit.
Nächster Termin von Igor Levit in NRW: 8. Juli, Historische Stadthalle Wuppertal; Karten über Klavierfestival Ruhr.