Warum lieben Sie Brahms?
Der Düsseldorfer Ballettchef Martin Schläpfer über Musik für Kopf und Bauch.
Herr Schläpfer, bei einer so introvertierten Komposition wie dem „Deutschen Requiem“ denkt man sicher nicht sofort an Tanz. Wie kommt es, dass das bei Ihnen anders ist?
Schläpfer: „Ein deutsches Requiem“ von Brahms war meine erste Schallplatte — zusammen mit einer von Nina Simone — und ist mir eine der liebsten geblieben. Ich habe nicht mal eine besondere Vorliebe für Sakralmusik. Das Mozart-Requiem würde ich zum Beispiel nie und nimmer zu choreografieren wagen. Aber nach Schubert und Schumann wollte ich den Bogen weiter spannen zu Brahms.
Da hätten Sie auch die „Ungarischen Tänze“ nehmen können. Warum ausgerechnet das nicht gerade tänzerische Requiem?
Schläpfer: In weiten Teilen ist das Requiem sehr rhythmisch und sehr tänzerisch, zum Beispiel der Zweite Satz „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“.
Apropos rhythmisch: Für den Vierten Satz „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ wählt Brahms den walzerischen Dreivierteltakt. Wie gehen Sie darauf ein?
Schläpfer: Weil dieser Satz so überraschend lieblich ist, dachte ich lange, er müsste unvertanzt bleiben. Jetzt habe ich eine Begegnung zwischen Mensch und Gott daraus gemacht. Dabei gibt es schon walzerische Tendenzen, aber nur ganz kurz als ein sanftes Heben.
Sie wählen häufig Musik deutscher Komponisten von Bach bis Brahms für Ihre Produktionen. Haben Sie eine Affinität zu eher streng strukturierten Werken?
Schläpfer: Ich mag es schon ganz gerne, wenn es streng ist und nicht a priori der Seligkeit verhaftet. Es muss Musik sein, die mich herausfordert und nicht einfach einlädt. Wir sind ja hier im Abendland, wo viel durch den Kopf geht, nicht nur durch den Bauch. Ich liebe aber nicht nur deutsche Musik. Mich fasziniert auch Ligeti, der mit Musikschichten arbeitet, die nicht rhythmisch zu orten sind.
Hören Sie Musik auch mal nur zur Freude?
Schläpfer: Ich höre nicht mehr viel Musik für mich alleine zu Hause, nur noch, wenn ich ein Stück für meine Arbeit suche. Aber ich komme nie nach Hause und lege mir was auf.
Wie viele CDs und Platten besitzen Sie denn?
Schläpfer: Das sind schon ein paar tausend. Hunderte Schallplatten habe ich damals vor meinem Umzug von Bern nach Mainz auf die Straße gestellt. Man muss sich auch vom Alten lösen können, um offener zu sein für Neues.
Welche Platte würden Sie auf die berühmte einsame Insel mitnehmen?
Schläpfer: Früher hätte ich gesagt: Aretha Franklin. Heute würde ich mich für die Pollini-Aufnahme von Beethovens letzter Klaviersonate, das Opus 111, entscheiden. Das ist die Klaviersonate mit diesen unglaublichen Trillern am Schluss — sie ist so gut wie jede Symphonie.
Was hat für Sie Priorität — Musik oder Tanz?
Schläpfer: Ich habe keine Mühe zu sagen: Zuerst ist die Musik, und dann kommt der Tanz, so dass ich unter der Musik stehen würde. Trotzdem würde ich mich der Musik nie unterordnen. Es ist schon eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe.