Meinung Kein Grund zur Entwarnung
Kaum zeigt Deutschland nur ein bisschen Zähne, zuckt die Türkei zurück. Die Liste, auf der fast 700 Firmen in Deutschland, von Daimler bis zur Döner-Bude, der Terrorunterstützung geziehen wurden, soll jetzt bloß ein Missverständnis gewesen sein, erklärt Ankara.
Frei nach dem Motto: „Man kann‘s ja mal versuchen“. Das Beispiel zeigt, dass eine gewisse Großmäuligkeit zur Strategie Erdogans gehört. Man erinnere nur an die Nazivergleiche. Bloß nicht beeindrucken lassen, kann da nur die Antwort sein. Wahrscheinlich hat der Mann mehr Angst, als er zugibt.
Die Absicht des aktuellen Rückzugsmanövers ist durchsichtig. Außenminister Gabriel hatte nämlich letzte Woche die angekündigten Wirtschaftssanktionen damit begründet, dass, wie diese Liste beweise, deutsche Investitionen in der Türkei nicht sicher seien. Deswegen erwäge man, dafür keine Bürgschaften und Kredite mehr zu geben. Das war eine hübsche Umkehrung.
Was Ankara zurückziehen muss, um eine Gegenreaktion noch zu stoppen, ist nicht irgendeine Liste. Dazu ist viel zu viel passiert. Sondern das ist die Politik der Repression gegen jeden Andersdenkenden im eigenen Land und außerhalb. Noch immer sitzen neun Deutsche in der Türkei völlig unschuldig in Haft. Aber selbst wenn auch sie morgen freikämen, in einem zweiten Schritt des Einlenkens, sind da immer noch tausende von Türken, deren einziges Verbrechen es ist, oppositionell zu sein.
Erst am Montag begann in Istanbul ein Prozess gegen 17 Journalisten der Zeitung Cumhuriyet, die nichts anderes getan haben, als das, was die Aufgabe von Journalisten ist: Kritisch zu berichten. Auch und gerade über die Regierung. Die angeblichen Beweise gegen sie sind hanebüchen. Hier werden fortwährend und in sich steigernder Intensität universelle Werte und Rechte verletzt, nicht nur europäische. Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, Meinungsfreiheit.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat von Selbstachtung gesprochen, um die es im Umgang mit der Türkei auch gehe. Sie liegt darin, dass man als Kanzlerin noch in den Spiegel gucken können muss, wenn man Erdogan bei Gipfeltreffen freundlich die Hand geben soll, dass man als Geschäftsmann noch ein halbwegs gutes Gewissen haben muss, wenn man mit dem Land Verträge macht, dass man sich unbeschwert erholen kann, wenn man als Tourist dort hinreist. Im Moment ist all das nicht mehr gegeben.
Noch sind die geplanten Wirtschaftssanktionen nur so genannte Prüfaufträge, also Androhungen. Berlin sollte mit ihnen Ernst machen. Und sogar noch einen Schritt weitgehen und auch die EU-Beitrittsgespräche endgültig auf Eis legen, so lange nicht alle politisch Verfolgten in der Türkei frei sind. Auch Europa kann’s ja mal versuchen.