Alexandra Franziska Kassen: Wenn ich abends das Theater verlasse, ist die Altstadt komplett tot. Wir haben extra Plakate entworfen, um von unserem Publikum mehr Unterstützung jetzt im Lockdown zu erhalten. Tagsüber kommt man darüber öfters mit den Menschen ins Gespräch, auch wenn wir aktuell kein neues Programmheft haben. Ich hatte die Idee, das Theater am Abend zu beleuchten, damit es nicht so trostlos aussieht. Aber wir mussten feststellen, dass das nicht viel Effekt hat, da abends kein Mensch mehr unterwegs ist. Insgesamt gesehen ist eine ruhigere Adventszeit auch von Vorteil, in den vergangenen Jahren war Köln mit den vielen Menschen immer mehr zum lauten Jahrmarkt geworden. Jetzt wird gerade alles ausgebremst und die Menschen haben vielleicht Chance, sich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren. Ansonsten habe ich mir schon Gedanken gemacht, ob es wie in Spanien für die Gastronomie nicht sinnvoll wäre, zumindest bis 18 Uhr die Restaurants zu öffnen und dieser Branche zu helfen. Da wäre es gut, wenn unsere Politik über den Tellerrand hinausschauen und so differenzierter entscheiden würde.
Interview „Bei der Kultur geht es ums geistige Überleben in einer bedrückenden Zeit“
Wie erleben Sie im Moment Köln im zweiten Lockdown?
Wie sieht im Moment ihr Berufsalltag aus?
Kassen: Der ist ziemlich anstrengend, da wir jetzt auch während der Schließung viel zu tun haben. Wir müssen abgesagte Termine rückabwickeln und neue Termine setzen. Normalerweise plane ich immer weit im Voraus und Reservierungen sind in der Regel ein halbes Jahr im Voraus möglich. Jetzt fahren wir auf Sicht. Vor dem Lockdown mussten wir ständig Termine verlegen oder absagen, da die Reservierungszahlen zu gering waren. Wenn nur knapp 20 Menschen im Theater sind, kommt selbst in unserem Haus, das klein und gemütlich ist, keine richtige Atmosphäre auf. Was den Umsatz angeht, rechnen sich auch Vorstellungen mit einem größeren Publikum nicht. Da sind wir auf die Zuschüsse angewiesen, ohne die es nicht gehen würde. Was mich beeindruckt hat, ist, dass viele unserer Gäste ihre Theaterkarten gespendet haben. Auch klassische Spenden gibt es immer wieder. So hat uns ein Stammgast 500 Euro zukommen lassen. Da erfahren wir im Moment sehr viel positiven Zuspruch.
Wie war die Zeit vor dem Lockdown?
Kassen: Da war es schon schwierig. Im Oktober haben wir 14 Tage gespielt, die anderen 16 Tage mussten wir absagen. Trotzdem war die Atmosphäre im Haus, wenn wir gespielt haben, immer toll. Die Leute haben sich wohl und auch sicher bei uns gefühlt. Wir haben vor allem auf Künstler aus der Region gesetzt, da sich für Kabarettisten aus München oder Berlin die Anreise und das Übernachten nicht rechnet. Für uns gab es durch die Hygienemaßnahmen deutliche Mehrkosten, da wir mehr Personal einsetzen mussten.
Was können Sie jetzt in der Zeit des Lockdowns tun?
Kassen: Wir haben zum Beispiel einen eigenen Adventskalender des Senftöpfchens auf unserer Internetseite online gestellt, den meine Tochter digital umgesetzt hat. An jedem Tag ist dort ein Künstler mit einem kurzen eigenen Beitrag zu sehen – meist an dem Tag, an dem er normalerweise bei uns auf der Bühne gestanden hätte. Auf Youtube kann man auch alle Beiträge auf einmal sehen. Es ist wichtig, dass wir und die Künstler im Gespräch bleiben. Wenn nicht gespielt wird, sind wir nicht mehr existent.
Wie beurteilen Sie die Perspektive für das Senftöpfchen?
Kassen: Ich gehe davon aus, dass wir zumindest das kommende Jahr noch mit dieser schwierigen Situation zu tun haben werden. Das bedeutet auch, dass wir statt der regulären 185 Gäste im besten Fall nur maximal 65 bis 70 ins Theater lassen dürfen, wenn sich die Regeln nicht wieder ändern. Damit können wir so gerade überleben. Das Problem ist, dass es in der Pandemie schwierig ist, selbst diese Zahl zu erreichen. Das ist uns beim ausverkauften Gastspiel von Köster & Hocker gelungen, das hatten wir auf zwei Tage aufgeteilt. Aktuell haben wir die Hoffnung, dass an Karneval gespielt werden kann und dass die Künstler, die sonst in den großen Sälen unterwegs sind, wie Bernd Stelter oder der Sitzungspräsident, nun zu uns ins Senftöpfchen kommen. Auch unsere Lokalmatadoren wie Jürgen Becker, Wilfried Schmickler oder Konrad Beikircher werden uns bestimmt wieder mehr Publikum in Haus bringen.
Wie sind die finanziellen Folgen für Ihr Theater?
Kassen: Wir hoffen auf neue Überbrückungshilfen. Wir sind schon jetzt finanziell am Limit. Man hangelt sich aktuell von Monat zu Monat weiter. Die meisten unserer Mitarbeiter sind auf Kurzarbeit, trotzdem hat das Büro aber reichlich zu tun. Dabei leisten wir aktuell eigentlich nur noch Verwaltungsarbeit. Platz für kreative Theaterarbeit gibt es kaum. Das macht es nicht einfacher. Ein Problem ist auch, dass, wenn wir am 11. Januar wieder öffnen dürften, das Theater nicht direkt wieder voll loslegen kann. Wir brauchen einen Vorlauf von bis zu zwei Monaten, bis die Leute zurückkehren. Aktuell bieten wir online den Service, dass man für Vorstellungen reservieren kann, ohne dass man vorab schon bezahlen muss.
Welche Rolle spielt die Kultur in der Krise?
Kassen: Ich fürchte, die Kultur spielt aktuell eine zu geringe Rolle. Es ist aber gut, dass wir durch verschiedene Aktivitäten wieder ins Gespräch gekommen sind. Es ist nicht verkehrt, Streaming-Angebote zu nutzen, man darf damit aber keine Konkurrenz zum Live-Erlebnis schaffen. Wir überlegen allerdings, wenn der Lockdown bis in den März hineingehen sollte, auch bezahlpflichtige Streaming-Angebote zu machen. Diese würden wir nach der Wiedereröffnung direkt wieder kappen. Für mich geht es bei der Kultur ums geistige Überleben in einer sehr bedrückenden Zeit. Man kann nicht nur noch vor dem Fernseher sitzen und einkaufen gehen. Ich bin mir aber sicher, dass die Kultur nicht untergehen wird. Das Publikum will das Live-Erlebnis, das gilt insbesondere auch für junge Menschen. Allerdings ist die Angst der Leute in geschlossenen Räumen derzeit groß. Wir versuchen alles, um ihnen diese Angst zu nehmen.
Was macht Ihnen derzeit Sorgen und was Hoffnung?
Kassen: Sorgen macht mir, dass ich mein Theater nicht mehr voll besetzen und so nicht mehr die Einnahmen generieren kann, die wir zum Überleben brauchen. Es ist auch unsere Aufgabe, Newcomer aufzubauen, dafür brauchen wir aber als Gegenfinanzierung volle Vorstellungen mit den bekannten Künstlern. Sorgen macht mir auch, dass die kleinen Geschäfte und Clubs die Krise nicht überleben. Das würde unsere bunte Kulturszene in Köln ganz maßgeblich zum Negativen hin verändern. Hoffnung macht mir, dass wir Kulturschaffende sehr kreativ sind und immer wieder neue Wege finden. Die Kunst ist ein lebendiges Wesen, das nicht so schnell untergehen wird.