Die Angst des Flötisten vor dem nächsten Pfeiler
Die Enge in der Ev. Kirche bei der Matthäus-Passion am Sonntag wurde von den Musikern mit Bravour gemeistert.
Burscheid. Es war eng im Altarraum bei der Aufführung von Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion am Sonntag in der Evangelischen Kirche am Markt. Rund 90 Sänger und Musiker mussten Platz finden: die Evangelische Kantorei Burscheid, die Chorgemeinschaft Burscheid 1824, das Matthäus-Chörchen, die Solisten sowie das Deutsche Radiokammerorchester.
Die zwei Chöre positionieren sich rechts und links des Altars auf ansteigenden Podesten, zwischen beiden Chören finden die Solisten Platz. Davor ist das Orchester platziert, gemäß Bachs Komposition für zwei Chöre und zwei Orchester auch aufgeteilt in zwei Gruppen jeweils mit Streichern, Cello, Kontrabass, Flöten und Oboen — und im Herzen des riesigen Klangkörpers zwischen allen Musikern: der Orgelspieltisch.
Eng kann schwierig sein, zum Beispiel wenn man Angst hat, dass der Flötist mit seiner Flöte an den nächsten Pfeiler stößt. Nah beieinander zu sein bietet aber auch Chancen: man kann gut aufeinander hören und zusammen musizieren. Und das taten die Sänger und Musiker unter der musikalischen Leitung von Kantorin Silke Hamburger am Sonntagabend ausgiebig und eindrucksvoll. Als Evangelist führte Wolfgang Klose souverän durch die Leidensgeschichte Jesu, in den Rezitativen routiniert und sicher begleitet von Organist Theo Palm und Cellistin Joanna Sachryn. Silke Hamburger lässt den Dreien freie Hand, hält sich an diesen Stellen und in den meisten Arien mit ihrem Dirigat stark zurück. Solisten und Musiker hören sich gegenseitig zu, reagieren aufeinander und musizieren so äußerst lebendig miteinander.
Die Rezitative treiben die dramatische Geschichte voran, die Arien dagegen bieten Raum für Gefühle und Stellungnahme einzelner Personen der Passionsgeschichte. Sopranistin Julia Giebel und der Bass Markus Auerbach lassen hierbei keine Wünsche offen, auch Bassist Sebastian Voges überzeugt über weite Strecken, allein Altistin Ute Schröder scheint sich bei der einen oder anderen Arien mit Tempi und Intonation schwer zu tun.
Die beiden Chöre finden nach einem etwas schüchternen Anfang mit intonatorischen Schwankungen immer besser zueinander, agieren über die Gesamtdauer von drei Stunden wach, aufmerksam und mit viel Freude am Gesang. Besonders beindruckend sind die großen Choräle, in denen die Sängerinnen und Sänger zu einem großen Ganzen zusammenfinden — auch wenn sich die dramatische Wucht des Geschehens nicht im sanften Dirigat von Silke Hamburger widerspiegelt.
Neben den Gesangssolisten glänzten in den beiden Orchestergruppen unter Konzertmeister Walter Schreiber auch immer wieder solistische Glanzlichter auf: Die Oboen beziehungsweise Oboe da caccia und Oboe d’amore, die besonders in den Sopran-Arien durch ihr feinfühliges und klangschönes Musizieren auffallen.
Das Cello-Solo in der Tenor-Arie „Geduld!“ und in der Bass-Arie „Komm, süßes Kreuz“, sowie die zwei Altflöten (Elina Thier und Hagen-Goar Bornmann, beides Studenten der Folkwang-Hochschule in Essen), die mit ihrem warmen Klang den Schmerz in der Tenor-Arie „Ich will bei meinem Jesu wachen“ in der Gethsemane-Szene betonen. Im großen Choral „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ findet die uralte Geschichte um Verrat, Verleumdung und Schuld vorläufig ihr schmerzliches Ende.
Die Aufführung am vergangenen Sonntag entlässt ihre Zuhörer aus der vollbesetzten Kirche am Markt aber musikalisch getröstet.