Im Stahlgarten der Fantasie
Konzert Mit der Kombination von Blasmusik und Industrieambiente ist dem OVH ein faszinierender Abend gelungen.
Burscheid. Senfpralinen überraschen uns, weil sie Vertrautes auf verblüffende Weise kombinieren. Das sind ja die beglückenden Momente des Lebens, wenn das Alltagsgrau durch einen anderen Blickwinkel in neuen Farben leuchtet. Werkleiter Heiko Glathe mochte es zunächst gar nicht glauben, dass ausgerechnet "die rustikalen Bedingungen" seiner Gießerei als Kulisse für einen Konzertabend mit dem Orchesterverein Hilgen (OVH) geeignet sein könnten. Er ist eines Besseren belehrt worden.
Natürlich hat das viel mit der verklärten Industrieromantik der Ahnungslosen zu tun, die hier nicht täglich im Schweiße ihres Angesichts ihr Geld verdienen müssen. Aber auch wer sonst an 1500Grad heißen Öfen dazu beiträgt, dass die Ringe von Federal Mogul Weltruf genießen, musste ins Staunen geraten, welche theatralische Kraft wechselndes Scheinwerferlicht seinem Arbeitsumfeld verleihen kann.
Einer der versiertesten Türöffner für das Kino im Kopf ist die Musik - und der OVH hat die Klinke fest in der Hand. "Der Herr der Ringe" soll es sein, was sonst an diesem Ort? Nicht die Filmmusik indes, sondern das in den 80er Jahren entstandene Erstlingswerk des Niederländers Johan de Meij.
Gerade noch hatte der OVH-Vorsitzende Martin Mudlaff gespielt verzweifelt von den vielen Auflagen und ehrlich erstaunt von der Bereitschaft des Unternehmens berichtet, für das Konzert zwei Schichten vor- und nacharbeiten zu lassen. Und schon weht hier mit den ersten Takten ein anderer Wind, den Gandalf, der Zauberer, vor sich hertreibt.
Das rote Blinken da hinten in der endlosen Weite der Halle: schnöde Maschinensignale oder Gollums rastlos-lauernder Augenschein? Während draußen vor den Toren die Dämmerung einbricht, nimmt uns der OVH mit auf eine musikalische Wanderung im Dunkeln, hinein in dieses Gewirr aus Trägern, Regalen und Rohren, in diesen Stahlgarten der Fantasie. Und als schließlich die kleinwüchsigen Hobbits die Szenerie betreten, ist der charmante Dirigent Scott Lawton so in seinem Element, dass ihn nur seine stattliche Körpergröße von der völligen Identifikation trennt.
"Sie haben ein wirklich virtuoses Orchester hier in Burscheid", versichert der Amerikaner nach der Pause dem faszinierten Publikum. Und das schenkt ihm bereitwillig Glauben. Auch als Lawton die "kurze Fahrt in einer schnellen Maschine" (Short ride in a fast machine) von John Adams zum heimlichen und schwer zu spielenden Hauptwerk des Abends erklärt. Als wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, bahnt sich der OVH im Anschluss beeindruckend akzentuiert seinen Weg durch die getriebene und komplexe Rhythmik des Stücks.
Dass Lawton in der Zugabe, dem "Lied des Eisenschmieds", noch wirkungsvoll ein Stück Eisen mit dem Hammer bearbeitet, sollte man nicht unter dem Gesichtspunkt der Produktivität betrachten. Allein die Geste zählt. Am Ende jedenfalls steht seine Hoffnung: dass es eine Fortsetzung geben möge dieser Zusammenarbeit eines "extrem wichtigen Arbeitsortes" und einer "extremen kulturellen Instanz". Es ist nicht seine Hoffnung allein.